Die Güte des Borkenkäfers
Der bestgehasste ‚Schädlingskäfer‘ der Wälder zeigt uns lediglich die Fehler unseres eigenen Umgangs mit der Natur auf.
Der bestgehasste ‚Schädlingskäfer‘ der Wälder zeigt uns lediglich die Fehler unseres eigenen Umgangs mit der Natur auf.
Gewöhnlich betrachtet der Mensch das Raubtier mit Bewunderung und Ehrfurcht vor der Schönheit der Naturgewalt. Er wäre, wenn es nach den üblichen Sagen und Mythen geht, oft gerne selbst ein solches Tier. Der Mensch, der in ein Löwenfell schlüpft, fühlt sich schnell als Herkules, von Tigern etc. gar nicht zu reden. Selbst der Hecht im Karpfenteich steht hoch im Ruf. In all diesen Fällen besteht abseits der Bewunderung die wissenschaftliche Gewissheit, dass der Räuber für seine biologische Umwelt wichtig ist, das er das Kranke und Schwache eliminiert.
Andere Arten aber, die exakt dasselbe tun, also äußerst nützlich sind, haben da weniger Glück. Sie nehmen auf die ökonomischen Interessen des Menschen Einfluss und gemäß unserer ökonomischen Moral sind diese Räuber zu „Schädlingen“ herabgesunken – und man vernichtet sie, wo man nur kann.
Besonders schlimm hat es den Borkenkäfer erwischt, einen einige Millimeter großen, unscheinbaren Wald- und Rindenbewohner. Die Scytoline treiben im Wald seit der mittleren Kreidezeit ihr Wesen: Sie fressen Holz und Bast von kranken und geschwächten Bäumen und bringen sie so zum Absterben.
Der Borkenkäfer ist also eigentlich ein Anzeiger dafür, dass etwas faul ist mit einem Baum – oder mit einem ganzen Waldbereich. Indem nun die Menschen mit ihren kommerziellen Fichten-Monokulturen das System Wald aus dem Gleichgewicht gebracht haben, haben sie automatisch eine Explosion der Borkenkäfer mit den klingenden Namen „Buchdrucker“ und „Kupferstecher“ verursacht.
Die Käfer tun das, was sie immer tun, nämlich kranke Bäume zu Kleinholz zu verwandeln. Das Ganze läuft bei hohen Temperaturen, geringen Niederschlägen und kräftigen Sturmschäden besser als geschmiert. Und damit ist der Borkenkäfer ein schöner Anzeiger für den Klimawandel. Was der Mensch dem Käfer ankreidet, muss er sich selbst auf die Rechnung schreiben: ein krankes System. Es ginge also nicht darum, den Käfer zu vernichten, sondern die eigenen Fehler zu beseitigen.
Nebenbei bemerkt, ist der Borkenkäfer nicht einfach nur ein Fresser, sondern ein hochraffiniertes Wesen. Eine Scytoline-Art, die Holz zwar bohren, aber nicht essen und verdauen kann, hat sich in einer Fress-Symbiose mit einem Schimmelpilz zusammengetan, der Holz zerlegt. Der Käfer nimmt den Schimmelpilz mit, setzt ihn am Holz an und ernährt sich von dem durch den Holzverzehr wachsenden Schimmelpilz. Es ist eine Partnerschaft, in denen der, der ernährt, zwar von dem Ernährten gefressen wird, aber trotzdem rundum lebendig bleibt. Fast könnte man meinen, der kleine Borkenkäfer, gehasst und verfolgt, habe dem Menschen die Nutzung „nachwachsender Rohstoffe“ voraus. Um mehr als 100 Millionen Jahre.