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Schlafen im Stroh

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In Österreich haben Haupt-und Nebenerwerbsgastronomen in den letzten Jahren bis zur Totalverschuldung auf Komfort gesetzt. Der Gast, so wurde den Zimmervermietern eingebleut, sei heute anspruchsvoll und wünsche selbst im Gebirgs-bauernhof ein gekacheltes Bad mit Sprudelzirkulation. Im Zimmer müsse TV-, Telefon-, Fax- und Internetanschluß vorhanden sein. Die Himmelbetten seien gesundheitsgeprüft, das Schlaffeld strahlungsfrei und der Blick auf die Bergkette unverstellt. Die Kost sei einerseits sehr preiswert, andererseits jedoch nach individuellem Geschmack und den Begeln der Nouvelle Cuisine bereitet. Um all das hat sich unser Fremdenverkehr bis zur Selbstaufgabe händeringend bemüht.

Ob sich der Erfolg einstellen wird, steht derzeit noch in den Wetterwolken. Aber ob der Trend überhaupt stimmt und ob die allzeit muntere Nachbarkonkurrenz ihn überholt und vielleicht ganz andere Trümpfe ausspielt, das sei hiermit vorsichtig angedeutet.

Die Eidgenossen, sparsam und praktisch veranlagt, wie sie nun einmal sind, setzen nicht bloß auf ihre Luxushotels, sondern propagieren bereits die neue Welle: Schlafen im Stroh. 164 bäuerliche Betriebe haben sich zu einem Aktionsring zusammengeschlossen. Bei ihnen kann der Gast zum Einheitspreis von 16 Franken pro Nacht im Heu schlafen. Kinder, denen das Scheunenquartier vermutlich viel Freude macht, zahlen nur zehn Franken. Waschen und Klo benützen ist gratis. Aber selbst im Heu schlägt der Fiskus zu. Kurtaxe wird extra verrechnet. Schießlich soll der Heuduft ja besonders gesundheits-und potenzfördernd sein. Wir kennen das aus den frühen Filmen von Franz Antel und seinen fröhlichen Sennerinnen. Ordnungsliebend wie die Schweizer sind, gestatten sie keinesfalls wie auf manchen unserer alpinen Schutzhütten eine nächtliche Überfüllung des Lagers. Die Zahl der Nächtiger ist streng limitiert, damit auch jeder in Ruhe und Raum vom urigen Landleben träumen kann. Und wenn er dann gestärkt erwacht, gibt es ein „Buure Zmorge”, auf deutsch Bauernfrühstück.

Dieses Angebot ist nicht mit den Heubädern zu verwechseln, in denen auch hierzulande in einzelnen der Naturkraft verschworenen Gehöften Gicht- und Kreislaufgeschädigte ihre

Krankheiten ausschwitzen können. Zur Ehrenrettung der Heimat so auch vermerkt, daß es da und dort Landwirte gibt, die einen müden Wanderer mit Sparpaket im Nacken im Heu ihrer Scheune übernachten lassen. Aber das Image eines solchen kurtaxenfreien Fremdenverkehrs ist denkbar schlecht und erinnert eher an Landstreicherei oder andere Lichtscheu.

Die Schweizer hingegen machen Heu und Stroh wieder gesellschaftsfähig. Mag sein, daß künftig die Urlaubssnobs im Cadillac am Bauernhof vorfahren und im Heu absteigen. Und daß hinter romantischen Bretterverschlägen der fröhliche Refrain eines alten Kinderliedes ertönt: „...da kratzt mich keine Feder und beißt mich kein Floh!”

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