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BRD: Krieg gegen MIK

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Der 16. Jänner 1986 war in Hannover ein eiskalter Wintertag. Die Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA), die seit den frühen Morgenstunden in der Innenstadt eine „konspirative Wohnung“ der RAF (Rote Armee Fraktion) beschatteten, froren und sehnten sich nach einer geheizten Stube. Gegen Mittag zogen dann Schneewolken über die Stadt, doch zum Schneien war es immer noch zu kalt. Um punkt 12.30 Uhr gab der Einsatzleiter des BKA-Sonderkommandos über sein Funkgerät das Losungswort zum Angriff.

Verhaftet wurden bei dieser BKA-Sonderaktion eine Kunst-

Studentin und Annelie Becker, die Schwester der abgeurteilten RAF-Terroristin Verena Becker, die jedoch später mangels Beweisen freigelassen werden mußte. „Alles kleine Fische, was am 16. Jänner in Hannover der Polizei ins Netz ging“, witzelte die „Neue Osnabrücker Zeitung“.

Doch die Polizei fand bei der Annelie Becker einen besonders wertvollen Hinweis: eine vollständige „Abschußliste“ der RAF-Terroristen, bestehend aus führenden Wirtschafts- und Industrieexperten, an deren Spitze auch der Name des vor kurzem ermordeten Siemens-Managers Karl-Heinz Beckurts stand. Seitdem galt Beckurts als hochgefährdet, strenge Sicherheitsmaßnahmen wurden getroffen. Die Tatsache, daß Beckurts trotzdem ermordet wurde, ist ein Beweis dafür, daß die RAF nun auf gezielte, professionell durchgeführte Mordanschläge setzt.

Während die RAF-Begründer Andreas Baader und Ulrike Meinhof noch vor dem Stamm-

heimer Richter vor Wut und Trauer über die „verlorene Revolution“ bebten, und dabei tatsächlich glaubten, die Revolution sei in Westeuropa möglich, man müsse lediglich die „unzufriedenen Arbeitermassen“ rechtzeitig mobilisieren, machen sich ihre Nachfolger diesbezüglich keine Illusionen mehr. Die RAF ist sich heute

über ihre gesellschaftliche Randexistenz im klaren, sie setzt auch bewußt auf Mobilisierung von Randgruppen und Chaoten, denen sie durch gezielte Propaganda einen Hauch von „antiimperialistischem Kampf“ aufzustem-peln sucht.

Im Klartext: Die RAF versucht in zunehmendem Maße, ihre „re-

volutionäre Strategie“ den Theorien verschiedener Öko-Bewegungen aus der westdeutschen Protest-Szene anzupassen. Daß bei den Terroranschlägen nun führende Manager aus dem Bereich der Hochtechnologie zum Handkuß kommen, ist die logische Folge der veränderten Strategie.

Knapp zwei Wochen nach der Verhaftung der Annelie Becker fand in einer aufgelassenen Berufsschule in Frankfurt am Main eine Art Mobilisierungskongreß verschiedener westeuropäischer Terrorgruppen statt, bei dem folgende Devise ausgegeben wurde: Die großen Elektronik- und Computerkonzerne reißen sich alles unter den Nagel, was in den sogenannten High-Tech-Bereichen expandiert. Der Feind der Arbeiterklasse heißt heute „militärisch-industrieller Komplex“ (MIK).

Aus einem Interview der französischen Terrororganisation „Action directe“ in der RAF-Un-tergrundzeitschrift „Zusammen kämpfen“ geht hervor, daß die Befürworter des EUREKA-For-schungsprogrammes unter den deutschen und französischen Wissenschaftern in naher Zukunft Ziele von terroristischen Angriffen sein werden. Auch Karl-Heinz Beckurts war als wissenschaftlicher Vordenker des Siemens-Konzerns am EURE-KA-Programm maßgeblich beteiligt.

EUREKA ist für die westeuropäische Terrorszene offenbar ein Reizwort. Dabei lassen sich die Terroristen in ihrer Denkweise

von einer recht simplen Dialektik leiten. Als Ausgangspunkt wird die These aufgestellt, wonach die „kapitalistisch-imperialistische Welt in einer tiefen Krise“ stecke. Daß die kapitalistischen Staaten ihren Untergang aufhalten wollen, liegt für die Revolutionstheoretiker der RAF „klar auf der Hand“. Fazit: Das derzeitige Ziel der „imperialistischen Globalstrategie“ ist die „Integrierung Westeuropas“ mittels verschiedener Zusammenschlüsse, zu denen auch das EUREKA-Programm gehört.

Dazu die RAF-Untergrundzeit-schrift „radikal“: „Durch die Aufstellung von Raketen in Westeuropa und SDI wird die Strategie zur Uberwindung der Krise der kapitalistischen Staaten entwik-kelt. EUREKA ist zwar ein Gegenstück von SDI - aber in Abhängigkeit von SDI. SDI ist also die Voraussetzung für EUREKA.“

Und hinter dem EUREKA-Programm vermutet die Terrorzeitschrift „radikal“ einen faulen Trick der Kapitalisten: „Es ist ein besonders heimtückischer Trick der imperialistischen Staaten, daß unter dem Namen EUREKA auch solche Staaten integriert werden können, die weder NATO-noch EG-Mitglieder sind, wie etwa Österreich und Schweden.“

Deshalb richtet sich der Terror der RAF gegen Politiker und Schlüsselpersonen aus der For-. schung, die an westeuropäischen Langzeitprojekten beteiligt sind. Auf einem anderen Blatt steht freilich, daß diese Kampagne der Strategie der UdSSR, vor allem deren Anti-SDI-Politik, zugute kommt.

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