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Das Ende eines Traums

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Vor zwanzig Jahren gaben die vier „Pilzköpfe“ aus Liverpool ihr letztes gemeinsames Konzert. Ihre unkonventionelle Musik fand nun eine späte Würdigung - durch „Radio Vatikan“.

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Vor zwanzig Jahren gaben die vier „Pilzköpfe“ aus Liverpool ihr letztes gemeinsames Konzert. Ihre unkonventionelle Musik fand nun eine späte Würdigung - durch „Radio Vatikan“.

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Die Pop-Gruppe „The Beatles“ aus Liverpool ist schon zur Zeit ihres Bestehens in den sechziger Jahren zu einer „Legende“ geworden. So wurden John Lennon und Paul McCartney schon 1965 von Musikjournalisten als die „größten Songschreiber seit Schubert“ bezeichnet. Selbst als sich' das Musikerquartett 1970 trennte, verstummten die Fabelgeschichten über den märchenhaften Aufstieg und die unüberbietbare Genialität der „Beatles“ nicht.

Im Gegenteil: Je ferner die Realität ihrer Existenz rückte, desto beherrschender wurde der „Mythos“ von den „fabulous four“. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß ein amerikanischer Manager der „legendären“ Gruppe vor zehn Jahren für einen einzigen gemeinsamen Wiederauftritt 540 Millionen Schilling bezahlen wollte.

Anläßlich des 20. Jahrestages ihres letzten öffentlichen Konzerts (19. August 1966) hat „Radio Vatikan“ die „Beatles“ und ihren „Non-Konformismus“ in Haartracht, Kleidung und Botschaft der Lieder gelobt. Damit wird von kirchlicher Seite eine — so scheint es — beinahe schon überfällige Würdigung dieser längst allgemein anerkannten „Zeitgrößen“ nachgeholt.

Umso bedauerlicher ist es, daß die Würdigung nur sehr kurz und undifferenziert ausfällt. Eigentlich wird mit ihr nur jener schon erwähnte „Mythos“ aufgewärmt; jener „Mythos“, der zumindest einem der „Beatles“, nämlich John Lennon, nach eigenen Aussagen schweren seelischen Schaden zugefügt hat.

Und steht sein Schicksal nicht auch für das jener Jugendlichen, die — wie Lennon — an den „Mythos“ der „Beatles“ geglaubt und für ihn gelebt haben bzw. dies immer noch tun?

Was also erfahren wir von Lennon über die vielgerühmten „Beatles“?

In einem Interview 1970* sagt Lennon: „Es war eine widerliche Demütigung. Man muß sich total erniedrigen, um das zu sein, was die Beatles waren, und genau das finde ich so ekelhaft.“

Mit derselben Offenheit spricht Lennon über die Lieder der „Beatles“: „Die Musik war schon tot, bevor wir auf die große England-Tournee (1963) gingen. ... Für den Erfolg haben wir uns selbst umgebracht.“ Aus vier begeisterten Musikern seien „technisch versierte Aufnahmekünstler“ geworden. Von den Texten aber seien nur wenige ehrlich und persönlich, die meisten „Songs für den großen Massenkonsum..., und diese Songs — sowohl die Texte als auch alles übrige—finde ich ziemlich seicht. Sie waren im Grunde nichts weiter als ein Witz.“

Was schließlich die äußere Aufmachung und das allgemeine Vorstellungsbild der „Beatles“ betrifft, meint Lennon:,.Klar, wir hatten unser Image, aber unterwegs lief das ganz anders.“ „Dp mußt wissen, die Tourneen der Beatles liefen ab wie .Fellinis Satyricon'.“

Für sein eigenes Leben aber zieht John Lennon eine radikale Konsequenz: „Ja, ich glaube nicht an die Beatles, das ist alles. Ich glaube nicht an den Beatles-Mythos. .. Ich glaube nicht an sie, was auch immer sie in der Vorstellung der Leute sein sollten. Und ich meine nicht nur die Beatles, ich meine dieses ganze Generationsding. Der Traum ist ausgeträumt. Er ist ausgeträumt, und wir müssen — na ja, das gilt auf jeden Fall für mich persönlich — wieder zur sogenannten Realität zurückfinden.“

John Lennon ist diesen Weg gegangen, gegen seine eigene Vergangenheit und Berühmtheit, und gegen das „Showgeschäft“. 1980 mußte er mit dem Leben dafür bezahlen, weil ihm ein „Beatles“-Fan diesen Weg weg vom „Mythos“ der „Beatles“ und vom „Traum“ der sechziger Jahre nicht zugestehen wollte.

Eine wirkliche Würdigung der „Beatles“ und ihrer Musik — aber auch der Pop-Musik insgesamt — wird an den Erfahrungen und am Lebensweg John Lennons nicht vorbei gehen dürfen. Erst dann ist die Grundlage für eine wahrheitsgemäße Darstellung der „Beatles“ und der Pop-Musik fernab von aller „Mythisierung“ möglich.

• Das Interview ist deutsch veröffentlicht als Rowohlt-Taschenbuch: „Lennon über Lennon. Abschied von den Beatles. The Rolling Stone Interviews.“ Reinbek bei Hamburg 1981.

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