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Das gute Beispiel

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Im „Nachruf zu Lebzeiten. Das schlechte Beispiel des Herbert Eisenreich“, der dem Erzählband als Nachwort mitgegeben ist, verrät uns Eisenreich offen seine Schwächen, aber auch in diesen Schwächen das Gesetz seines Schreibens: die Kunst hat nicht die Funktion, unsere Meinung zu ändern, sondern die, unsere Haltung zu formen. So kümmert er sich nicht um jene engagierte Dichtung, die politische, soziale oder andere zeitgemäße Tendenzen verficht, das ist nur Programmusik (ich bin kein literarischer Kriegsgewinnler), er engagiert sich für jene Akribie des Schreibens, der ein richtig gesetztes Komma wichtiger ist. Doch mündet er deswegen nicht in bloße Artistik, denn sie wäre, wenn sie am Ende nicht sich selbst unsichtbar machte, nur eine andere Art von Kitsch. Das Unsichtbarmachen der schriftstellerischen Anstrengung wie der großen aktuellen Themen mündet in die „Unschuld des Indirekten“, zu dem er sich mit Doderer bekennt. Um das Formen der menschlichen Haltung geht es, auch in gleichgültigsten, kläglichsten Situationen des Alltags; sie sind unsere „Mißverständnisse“, die wir allerdings gern als Siege buchen. Ein Schriftsteller, der nicht bereit ist, mit gespitzter Feder auch dem Banalsten und Nebensächlichsten nachzulaufen, ist kein Schriftsteller, meint er mit seinem von ihm verehrten Meister Gütersloh. Lauter Mißverständnisse, die die Menschen aneinander vorbeireden und -leben lassen, enthüllen ihm mehr, „wovon wir leben und woran wir sterben“ und wie wir an ihnen unsere Haltung formen, als breit angelegte Romane oder großartige Formexperimente. Das hat seine Vorzüge und seine Schwächen, wie sie Eisenreich selbst in jenem Nachruf freimütig zugibt.

EIN SCHONER SIEG UND 21 ANDERE MISSVERSTÄNDNISSE. Von Herbert Eisenreich, Styria-Ver-lag Graz-Wien-Köln 1973, 163 Seiten.

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