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Der Autor als hämisch lächelnder Maschinengott

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Die Erde ist ein trostloser Planet geworden, die Menschen haben sich zu Ungeheuern entwickelt, die im Verlauf der Geschichte nur Leichenberge hinterlassen, der Teufel hat überall seine Finger im Spiel - da möchte der Liebe Gott im Himmel am liebsten seine Schöpfung wieder zurücknehmen. Dies ist die Ausgangslage von Harry Mulischs Epos über Globus und Galaxis. Ein Mensch soll im Auftrag Gottes die verschollenen Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten wieder zurückbringen, so wird es von „Sky Limited” in der Chefetage göttlicher Logistik ausgetüftelt und mit Hilfe des irdischen Bodenpersonals auch ausgeführt.

Bei Mulisch sitzt Gott im Büro, und der Leser hat sehr schnell gemerkt, daß diese Konstellation nichts weiter ist als eine postmodern gestylte Variante des uralten Spieles vom Dichter als zweiter Schöpfer. Ein bewährter Kniff, dazu treten Dutzende von Taschenspielertricks, die dem versierten Schriftsteller mühelos zur Verfügung stehen, und doch wirkt die Operation alter deus ex machina über die 800 Seiten des Romans zeitweise ermüdend. Denn der riesige Aufwand an Plot, den Gott Harry treiben muß, um das auserwählte Menschlein auf die Welt und schließlich samt Gesetzestafeln wieder in den Himnfel fahren zu lassen, ist enorm. Wir haben die Freunde Max und Onno (samt deren Erzeugern), deren Freundinnen Helga und Ada (samt Vorfahren) sowie nach mancherlei plötzlichen Heimholungen endlich Quinten, den Superknaben, der schließlich im Stil von Indiana Jones die Bundeslade in Jerusalem auftreibt und der, nach vollbrachter Tat, vom Himmel abgerufen sprich: von Mulisch wegeskamo-tiert wird.

Der Roman enthält einige beeindruckende Passagenn, etwa Max' Besuch in seiner Ortschaft Auschwitz oder die Schilderung der labyrinthischen Traumwelten Quintens, die nicht nur Piranesis „Car-ceri” gleichen, sondern frappant an „Piranesis Traum” von Gerhard Köpf erinnern. Zweifellos ist das Riesenwerk durchwegs unterhaltsam und lehrreich, streckenweise sogar von furioser Spannung, oft aber auch eintönig, bildungslastig moralisierend und nur selten witzig. Da hilft auch der postmodern-uralte Subtext nicht weiter, zumal in den (gottlob nur drei) Intermezzi mit den himmlischen Stimmen eine eher geschwätzige denn originelle Poetik vorgestellt wird. Außerdem erweckt Mulisch den Eindruck - ob mit Absicht, sei dahingestellt -, der Liebe Gott und er als sejn Adlatus brauchten das lesende Fußvolk nur als dämlich staunende Luftgucker.

Zeitgeistige Beliebigkeit

Wenn am Ende die Welt gerettet scheint, meint man ein satanisches Gelächter zu vernehmen: das des Autors, der uns alle zum Narren gehalten hat und sich dabei selbst glänzend amüsiert haben mag. Fazit: Intellektuelles Geplänkel, kosmisches Rauschen und Legendensimulation voller Schwurbel, elegant zwar, aber ohne Bedeutung. Daß die Welt mit postmoderner Beliebigkeit nicht zu retten ist, weiß Mulisch als kluger Kopf auch, als cleverer Kalkulator schlägt er sogar kräftig Profit daraus. „Die Entdeckung des Himmels” ist ein Roman ohne Rätsel und damit alles andere als göttlich.

DIE ENTDECKUNG DES HIMMELS. Von Harry Mulisch. C. Hanser Verlag, München 1993. 800 Seiten, öS 389,-.

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