6853762-1977_06_07.jpg
Digital In Arbeit

Der Premier und der Dissident

Werbung
Werbung
Werbung

Sie konnten zueinander nicht kommen, obwohl nur wenige Meter sie trennten. Obendrein wußte der englische Premierminister Callaghan in einer Fragestunde des britischen Unterhauses nichts von der Anwesenheit Wladimir Bukowskis, der die Sitzung von der Tribüne aus verfolgte. Als die Oppositionsführerin Margaret Thatcher den Premierminister aufforderte, sich mit Bukowski zu treffen, um von ihm aus erster Hand über die Verhältnisse in den Gefängnissen und Lagern, „Kliniken” und Zuchthäusern der UdSSR orientiert zu werden, lehnte Callaghan ab. Die Position der Regierung hinsichtlich des Helsinkiabkommens und gegenüber der Sowjetunion sei klar. Er brauche deswegen niemanden zu treffen.

Dies hörte Bukowski auf der Tribüne - und die Welt hat es mitgehört. Sie hat auch erfahren, was Bukowski später, im Kreis konservativer Abgeordneter dazu sagte. Callaghan hatte zur Rechtfertigung seiner Ablehnung hinzugefügt, seine Regierung habe diskret bereits mehr für die Freilassung von Dissidenten getan, als die Opposition öffentlich. Bukowski meinte nun: „Nach meiner Ansicht ist es schwer zu begreifen, wie ein britischer Gentleman versuchen kann, Geheimabkommen mit Mördern zu schließen.”

Lieber, armer Wladimir Bukowski! Wissen Sie denn nicht, daß die politische Hintertreppe :von Boten, die zu diesem Zweck ausgesandt werden, seit Jahjren überfüllt ist? Daß zwischen Moskau und Washington, Bonn und Ostberlin, sicherlich auch zwischen London und manchen osteuropäischen Hauptstädten rohrpostartige Gänge bestehen, die, von der Öffentlichkeit unbeobachtet, mißliebige Staatsbürger hin- und hertauschen? Verdanken nicht Sie selbst, lieber Bukowski, Ihre Freiheit einem solchen lange genug geheimgehaltenen und in der UdSSR noch heute nicht zugegebenen Handel?

Freilich: Wer sein Leben für die Freiheit in die Schanze schlägt, hat ein Recht darauf, uns, die wir im Westen für die Unterdrückten eintreten, Orientierungshilfe zu geben. Hörten wir besser hin, würden sich viele der rohrpostartigen Gänge vielleicht bald erübrigen und auch unsere Regierungen mannhafter dem Unrecht begegnen. Es war ein Fehler Mr. Callaghans, auf das Gespräch mit Bukowski zu verzichten. Was jedes Journalisten Ziel ist: aus erster Hand sich zu informieren, das kann für den Politiker gewiß nicht schädlich sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung