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Der Teppich

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Wenn der Mensch eine ganze Woche frei hat und länger schlafen könnte, . wird er garantiert früher wach als gewöhnlich. Das ist wissenschaftlich bewiesen worden. Wenn er zufällig nicht von selbst erwacht, weckt ihn ganz bestimmt ein Teppichklopfen auf. Wenn der Mensch nicht aufstehen muß, scheint ihm auch das Klopfen nicht unangenehm.

Es liegt sogar eine gewisse Romantik darin - als startete die Maschine eines Transozeandampfers. Die Ähnlichkeit ist besonders für jenen auffällig, der niemals eine Fahrt mit einem Ozeandampfer erlebte. Auf der Liege kann man sich leicht eine Kapitänsbrücke vorstellen. Übrigens, Erwachsene träumen heutzutage nicht von Kapitänsbrücken, sondern von Kabinen I. Klasse.

So etwa entstand wahrscheinlich das Märchen vom Fliegenden Teppich: Als der Dichter, geweckt auf seiner Matte, hörte, wie eine Sklavin im Hof des Nachbarhauses weiche Chorasanteppiche klopfte...

Zu den Ozeandampfern kommt jetzt ein Motorboot heran - klappklapp-klapp-klapp - fast pausenlos. Die junge Nachbarin, die erst unlängst heiratete, hat es immer eilig. Sie hat einen Energieüberschuß. Oder beherrscht noch nicht die Zeremonie des Teppichklopfens. Beinahe wie die Männer. Für den Mann ist der Teppich kein Instrument, sondern ein Gegenspieler. Wenn aber Frau Krause aus unserem Haus Teppich klopft, dann verwandelt sich ihr billiger Boucle in ein afrikanisches Tamtam. Gleichmäßige, rhythmische Schläge klapp-klapp, klapp-klapp, sind das Eröffnungssignal. Das heißt bloß: „So ein Staub, na ja, der Teppich muß von Zeit zu Zeit gründlich geklopft werden." Es dauert ziemlich lange. Dann kommt eine Pause. Die bedeutet: „Man muß sich nur schinden und immer wieder schinden und was hat man schon davon?"

Dann einige kräftige Schläge -Puch! Puch! Puch! Frau Krause erinnert sich: Ihr Mann kam gestern wieder so spät aus der Arbeit nach Hause. Er roch nach Bier und sie mußte sein Abendessen noch einmal aufwärmen. Doch nach einigen heftigen Schlägen kommt das rasche Streicheln mit dem Kehrbesen. Durch die Folge von Gedankenassoziationen erinnert sich Frau Krause, sie hat für ihren Mann noch kein Abendbrot. Schluß der Sendung.

Die Illusion des Dampfers ist wie weggeblasen.

Das Klopfen vom Nachbarhof klingt jetzt wie ein gleichmäßiger Applaus. Man kann sich ausgezeichnet vorstellen, zu etwas Höherem ernannt worden zu sein, oder daß man bei einer internationalen Konferenz eine besonders kluge und witzige Rede vom Stapel ließ.

Besser ist es jedoch aufzustehen und sich aus der Küche den Tee und ein Butterbrot zu holen. Der Teppich wird unter die Füße gebreitet, es ist ein angenehmes Gefühl, wie er jetzt die bloßen Sohlen kühlt. Der Teppich, dem man seine Gedanken anvertrauen und an dem man seine Wut auslassen kann. Der alles weiß und alles erträgt. Darum treten wir ihn auch mit Füßen.

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