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Die Greise

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Seit die große Veränderung in der Deutschen Demokratischen Republik begonnen hat, ärgert es mich bei aller atemberaubenden Dynamik der Vorgänge, daß ich immer von „den Greisen“ in der abgetretenen Riege der Mächtigen lesen und hören muß. Man möchte jenen, die diese stehende Redensart gebrauchen, auf echt berlinerisch zurufen: „Wat heeßt hier Greise?“

Wenn sonst nichts gegen sie spräche als ihr Geburtsdatum!

Es gibt böse und gute Menschen überall und auch in der Politik. Alte Leute können schrecklich sein. Und das Schreckliche an der abgetretenen Führung der Deutschen Demokratischen Republik ist nicht das Lebensalter der politischen Prominenz. Die waren schon vor dreißig Jahren schrecklich.

Wenn ich „ Greise “ hören und lesen muß, denke ich an Goethe, der als Greis den „Faust“ beendet hat, ich denke an Verdi, der als Greis in seiner besten Laune sein Meisterwerk „Falstaff“ geschrieben hat. Gerhard Hauptmann war uralt und diktierte seinem Sekretär „aus dem Kopf“ Texte in den verzwicktesten strophischen Formen. Ich denke an Konrad Adenauer, den sie den „Alten“ nannten, den ich einmal, als er schon sehr alt war, bei einer Pressekonferenz beobachtete und der durchaus auf der Höhe seiner Auf gaben war.

Mit Robert Stolz undmitKarl Böhm war ich befreundet. Böhm konnte müde werden, aber zwischendurch klang das Orchester, wie es zu klingen hatte. Am neunzigsten Geburtstag des Robert Stolz machte ich ein Experiment. Ich sprach zu ihm in normalem Gesprächston, nicht wie man zu einem Schwerhörigen spricht, ich war witzig, und er lachte. Er war kein Greis, sondern ein alter Herr.

Ich ehre das Alter nicht um jeden Preis. Es ist kein Verdienst, soundsoviele Jahre alt zu sein.

Ich hatte und habe allerlei gegen die SED-Prominenz von gestern. Wie alt sie ist, spielt keine Rolle.

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