7049059-1990_45_13.jpg
Digital In Arbeit

Die Schlange im Kloster

Werbung
Werbung
Werbung

Party in Fierbinti: Herr und Frau Solomon, gutbürgerliche Vertreter einer wohlhabenden Bukarester Mittelklasse, organisieren auf ihrem Landgut ein Fest zu Ehren von Dorina, die nach Abschluß ihres Studiums um jeden Preis "unter die Haube gebracht" werden soll. Es ist heiß. Gegen Abend bläst Jorj Solomon zum Aufbruch: die Party wird in dem nahegelegenen Kloster Cäldärusani fortgesetzt. Auf dem Weg dorthin begegnet der bunten Gesellschaft ein seltsamer junger Mann, Sergiu Andronic, der sich ihnen als Flieger vorstellt. Die Damen sind vom ersten Moment an begeistert und nehmen Andronic in ihren Kreis auf.

Andronic umgibt ein Geheimnis: Zunächst erzählt er den Damen, daß er im See bei einer Bootsfahrt fast ums Leben gekommen sei. Die Gruppe richtet sich im Kloster für die Nacht ein, und Andronic schlägt ein Spiel im inzwischen stockdunklen Wald vor. Die Damen fürchten sich, Dorina erwähnt zum ersten Mal das Wort "Schlange".

Um zehn Uhr abends versammelt man sich zum Abendessen. Nach dem Abendessen wird Andronic plötzlich bleich: "Es ist eine Schlan-ge in der Nähe." Die nun folgende Szene der Schlangenbeschwörung ist das Kernstück der Erzählung Mircea Eliades. Sie ist mehrdeutig, wird von jedem der Teilnehmer anders interpretiert und nimmt mit ihrem Zauber auch den Leser ein.

Andronic ist der Zauberer, die Schlange ist sein Medium, mit des-sen Hilfe er zu erreichen sucht, was er will - die Liebe der Braut, die er erwählt hat. Der Raum, das Refek-torium des Klosters, dehnt sich aus, wird unheimlich, grenzenlos. Jeder einzelne der Teilnehmer an diesem Spiel wird auf seine ureigensten Sehnsüchte zurückgeworfen.

Andronic schickt die Schlange fort - und sie geht, wie ihr befohlen, den Tod auf der Insel inmitten des Sees zu suchen. Die Verzauberten erholen sich nur mühsam. Allein Andronic zieht durch den Wald, singt und landet schließlich am Ufer des Sees. Er streift seine Kleider ab und schwimmt zur Insel. Während-dessen hat Dorina seltsame Träu-me:. Sie spürt, Andronic ruft sie. Leise schleicht sie aus dem Zimmer. Sie geht zum Ufer, löst das Boot - und rudert zur Insel in der Mitte des Sees.

Als die übrigen anderntags das junge Paar suchen, finden sie es -eng ineinander verschlungen und nackt auf der Insel.

Die Entstehungsgeschichte von Eliades Erzählung "Der Versucher und die Schlange" ist ebenso phan-tastisch wie die Geschichte selbst. Entstanden im Jahre 1937 auf An-regung von Eliades Verleger Ciornei, mußte,. Sarpele" - so der Origi-naltitel - unbedingt bis zum rumä-nischen Buchtag im Mai 1937 fertig sein. Also schrieb Eliade jede Nacht zwischen elf Uhr nachts und vier Uhr morgens an seiner Geschieht Völlig erschöpft legte er im Mor-gengrauen das Manuskript neben die Haustür, wo ein Laufbursche des Verlages das laufende Kapitel des Morgens abholen mußte. Eliade hatte keinerlei Möglichkeit, den Text zu revidieren. Dennoch weist der Text eine bemerkenswerte Kohärenz auf - Eliade selbst spricht in seinen Memoiren von einem "Wunder".

Die Wurzeln von "Sarpele" (Die Schlange) sind in der rumänischen Volkskultur und im Werk des Na-tionaldichters Mihai Eminescu (1850-1889) zu suchen. Das Kloster am Ufer des Sees weckt in der rumänischen Volkskultur kosmo-logische und paradiesische Vorstellungen. Die Schlange selbst ist eine Verkörperung von Liebe und Tod, Eros und Thanatos zugleich. Die Insel in der Mitte des Sees ist eine direkte Anknüpfung an Eminescus Novelle "Cesara". "Sarpele" hat eine zentrale Bedeutung in Eliades Werk - hier beschreibt er zum ersten Mal in einer phantastischen Erzählung das Phänomen der Präsenz des Übernatürlichen hinter der Maske des Realen.

DER VERSUCHER UND DIE SCHLANGE. Von Mircea Eliade. Verlag Herder, Freiburg 1990. 176 Seiten., geb., öS 232,50.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung