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Öffnung zur dritten Republik

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SCHEIDEWEGE EINER REPUBLIK. Österreich 1918—1968. Von Ludwig Reichhold. Verlag Herder, Wien. 251 Seiten. S 160.—.

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SCHEIDEWEGE EINER REPUBLIK. Österreich 1918—1968. Von Ludwig Reichhold. Verlag Herder, Wien. 251 Seiten. S 160.—.

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Der bekannte österreichische Journalist Prof. Ludwig Reichhold legt anläßlich des 50. Jahrestages der Ausrufung der Republik einen Überblick über die Geschichte Österreichs in dem vergangenen halben Jahrhundert vor. Mit viel Fleiß und Mühe bearbeitet er die einzelnen Epochen dieser Zeit und versucht, Hintergründe und Motivationen darzulegen, die das Schicksal dieses Landes verständlicher machen können.

Sein besonderes Engagement merkt man im 3. und 4. Kapitel dieses Buches, nämlich in der „Orientierung an Österreich“ und in der „Öffnung zur 3. Republik“. Hier versucht Reichhold aus der Analyse der Geschichte des Kleinstaates Konsequenzen für die Politik der Zukunft zu ziehen. In der Behandlung des Endes der Koalition merkt man Reichhold den Schmerz darüber an, daß es den beiden Partnern der Besatzungszeit nicht gelungen ist, ihren Stil der Zusammenarbeit über die äußere Bedrohung hinweg zu erhalten und neuen Gegebenheiten entsprechend, fortzuführen. Reichhold zieht aber die Konsequenz aus dem Ergebnis des 6. März 1966 und versucht, seine politischen Vorstellungen in einem „entideologisierten Parlament“ einzufangen. Hier tritt er für ein Mehrheitswahlrecht, für eine Institutionalisierung der Parteien, für eine Regelung des Ver- bändewesens, eine Bewältigung der

wirtschaftlichen Aufgaben der Gesellschaft durch den Staat und für die Ordnung des Verhältnisses zwischen Politik und Wissenschaft ein.

Interessant ist in diesem Zusammenhang seine Sicht der gesellschaftlichen Situation sowie deren Konsequenzen, die sich daraus für die beiden Großparteien ergeben. Es muß anerkannt wenden, daß der Chefredaktuer des theoretischen Organs der ÖVP mit ruhiger Distanz und konsequent durchgehaltener Objektivität die Situation beider Parteien beleuchtet. Die bestimmenden Gruppen der ÖVP werden sich jedoch mit seinem Bild von der Volkspartei leichter tun, als die der SPÖ mit seiner Absage an den .klassischen“ Sozialismus. Vieles an seiner Deutung der „linken Mitte“ entspricht allerding der politischen Praxis des gegenwärtigen SPÖ-Par- teivorsitzenden. Die Außenpolitik kommt vielleicht mit ihrer alleinigen Motivation aus der Neutralität heraus, zu kurz, doch mag dies Ansichtssache sein. Vielleicht wäre eine stärkere Einbeziehung der Nachbarländer in den Gesichtskreis Österreichs auch in diesem Buch sinnvoll gewesen, ohne dabei einer Donauraumromantik zu verfallen.

Kurz zusammengefaßt stellt dieses Buch einen wertvollen Beitrag zur Bewußtseinsfindung Österreichs dar, insbesondere dadurch, daß viele historische Umstände der jüngsten Vergangenheit von Reichhold in verdienstvoller Weise objektiviert werden.

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