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Ein Frauenschicksal

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Polnische Filme genießen in unseren Kinos — wie die meisten Produktionen aus Osteuropa — Seltenheitswert. Dabei kommen gerade von den Polen immer wieder beachtliche künstlerische Wellenschläge. Als derzeit bedeutendster Repräsentant des polnischen Films darf wohl Krzysztof Zanussi gelten, der sich mit den Filmen „Die Struktur der Kristalle“ (1969) und „Familienleben“ (1971) einen Namen geschaffen hat, jedoch damit nicht in den deutschen Sprachraum vordringen konnte. Die erste Bekanntschaft mit Zanussi ermöglichte uns die Viennale 1975 mit seinem Opus „Illumination“, dem großen Sieger des Filmfestivals von Locarno 1974, und schließlich konnten wir bei der heurigen Viennale erstmalig den Streifen „Zwischenbilanz“ sehen, der nun in deutscher Fassung in die Kinos kommt.

Im Mittelpunkt steht Marta, eine Frau über dreißig, die ein scheinbar glückliches und zufriedenes Leben in Ehe und Beruf führt. Doch eines Tages beginnt sie zu zweifeln, ob dieses Leben zwischen Herd und Schreibtisch tatsächlich die absolute Erfüllung ihrer Lebenswünsche bedeutet. Drei Ereignisse sind es, die sie verunsichern : eine Unterschlagung in ihrem Büro, die man einer Unschuldigen in die Schuhe schiebt; die Begegnung mit einer ehemaligen Schulkollegin, die durch die Ehe mit einem (ungeliebten) Amerikaner zu Wohlstand gekommen ist; schließlich das Zusammentreffen mit einem Jugendfreund, der ihr plötzlich mehr zu bedeuten beginnt. In Marta erwacht der Drang nach Freiheit, nach Un-gebundenheit. Aber die stößt allmählich an ihre Grenzen. Und wenn sie schließlich zu Mann und Beruf zurückkehrt, so tut sie dies nicht mit bitterer Resignation, .sjndern^ach einem, .Re^ungs^o-zeß in Erkenntnis ihrer Möglichkeiten und ihrer Verantwortung.

Zanussi liebt es, in seinen Filmen unkonventionelle Porträts polnischer Menschen und polnischer Gegenwart zu geben, wobei das für unsere Kinosehgewohnheiten Außergewöhnliche schon darin liegt, daß er sich für eine Welt des Alltags mit seinen echten Problemen engagiert, die der noch immer zu sehr der Traumfabrik und der Sensation verpflichtete Film nur zu gerne vernachlässigt. So ist für Zanussi die Frau auch kein Luxusgeschöpf oder Sexobjekt, sondern ein in Beruf und Ehe gleichberechtigter Lebenspartner mit seinen berechtigten Erwartungen und Wünschen. Ihr Umfeld ist keine Illusion, sondern sogar dort, wo sie Zanussi in der ihm eigenen leichten poetischen Verklärung sieht, Realität.

Die ungewöhnliche Sorgfalt der Charakter- und Milieuzeichnung, die keine Klischeefiguren und •Vorstellungen zuläßt, die nuancierte Beschreibung der Ehekrise machen den Film in seiner stillen Art so faszinierend. Und die Besetzung der Hauptrolle mit der durchaus nicht in landläufigem Sinne schönen, aber sehr ausdrucksstarken Maja Komorowska zeigt vollends, wie wenig dem Film an attraktiven Äußerlichkeiten liegt.

So ist „Zwischenbilanz“, mehr als andere Filme,, ein wenn auch verspäteter, so doch echter und ' ehrlicher Beitrag zum „Jahr der Frau“ geworden.

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