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Aus Zanussis Stall

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Die Nachricht, daß Krzysztof Zanussi neue Gesichter für seine nächste Produktion suche, verbreitete sich im Theater sehr schnell. Jeder von uns jungen Schauspielern bereitete sich für dieses Treffen sehr gründlich vor.

Ich selbst hatte nach meiner ersten Saison eine gute ..Startposi-tion". 1978 spielte ich in „Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind den Melchior und in „Ein

Traumspiel" von August Strind-berg den Poeten. Hinter mir hatte ich auch zwei Filmproduktionen, in denen ich die Hauptrollen gespielt hatte.

Krzysztof Zanussi, Andrzej Wajda, Edward Zebrowski, Agnieszka Holland, Janusz Za-orski und Janusz Kijowski — das sind die Namen der besten polnischen Filmregisseure. Mit diesen Leuten zu arbeiten, davon träumt fast jeder Schauspielstudent in Polen. Uber die Arbeitsmethoden, Sonderheiten und Schwächen dieser Persönlichkeiten werden Gerüchte und Anekdoten, die ausgedacht oder wahr sind, erzählt.

Zanussi besuchte das Theater unerwartet einige Tage früher als geplant. Ich hatte gerade Studioaufnahmen zum Fernsehspiel „Eines langen Tages Reise in die Nacht" von O'Neill gemacht und kam erst am Ende der Begegnung ins Theater. Als ich in die Garderobe eintrat, fragte der Regisseur gerade nach Fremdsprachenkenntnissen. Die Frage war in meine Richtung gesprochen. Zanussi war wirklich erstaunt, daß ein junger Schauspieler die deutsche Sprache beherrscht. (Die populärsten Fremdsprachen in Polen sind Englisch und Französisch.) Namens aller jungen Kollegen fühlte ich mich beleidigt und verließ die Garderobe in arrogantem Stil, ohne „Auf Wiedersehen" zu sagen.

Nach zwei Tagen rief mich der Produzent an. So bekam ich meine Rolle in Zanussis Film „Die Spirale". Zanussi lud unsere kleine Schauspielergruppe ein und erzählte, wovon sein neuer Film handeln sollte, welche Rolle er unserer Gruppe in dieser Geschichte zugedenke, was wir bedeuten würden. Die übrigen Fragen würden wir schon vor der Kamera lösen.

Ein Jahr später, während Dreharbeiten zu seinem neuen Film, erzählte mir Zanussi, daß wir eine derart bunte und lebendige Gruppe auf die Leinwand „gemalt" hätten, daß sie die ganze Geschichte dominierte. Deswegen mußte man uns reduzieren, um das Hauptproblem klarer zu machen.

Diese ersten Erfahrungen waren sehr wichtig für die weitere Zusammenarbeit. Wir haben damals keine Drehbücher und auch keine festgeschriebenen Dialoge bekommen. Wir improvisierten ad hoc am Drehort. Zanussi hatte uns nur das Hauptthema des Gesprächs gegeben. Jeder bekam noch einen Hinweis, welches Ergebnis am Ende des Dialogs erreicht werden sollte. Nach zwei, drei Proben akzeptierte der Regisseur eine Version, die wir vor der Kamera wiederholen mußten. Es ist eine sehr schwere und interessante Aufgabe, sich aufnehmen zu lassen und dabei nicht zu „spielen".

Es war natürlich ein Zufall, aber mit Krzysztof Zanussi habe ich alljährlich zusammengearbeitet. 1980 bekam ich die zweite

Hauptrolle im Film „Constans". Da spielte ich einen jungen Mann, der das Leben unter dem Blickwinkel des Konsumierens betrachtet. Er versuchte alle möglichen Kontakte und Situationen auszunutzen, um sein Ziel zu erreichen: eine Hochgebirgsexpedi-tion in den Himalaja. Bei dieser Produktion haben wir eine wunderbare Reise nach Indien und Nepal erlebt. Unser Team war sehr klein, und ich habe neben meiner schauspielerischen Tätigkeit auch als Regie- und Produktionsassistent, Sript-boy, Träger usw. gearbeitet. So lernt man Produktionsprobleme und Schwierigkeiten von innen her.

Zu meiner vorerst letzten Zusammenarbeit mit Krzysztof Zanussi kam es beim Film „Aus einem fernen Land — Papst Johannes Paul IL", für den mich der Regisseur mit der Rolle Karol Wojtylas betraute. Nach der ersten telefonischen Nachricht waren ich und meine Familie überzeugt, daß jemand mit mir einen unpassenden Scherz gemacht hat. Ich wählte die Telefonnnummer von Zanussi, um mich zu überzeugen: Ja, es stimmte, ich hatte die Rolle Karol Wojtylas. Zanussi sagte noch, es sei eine „kleine" Rolle, nur ein paar größere Szenen. Ich solle mich als junger Karol Wojtyla fotografieren lassen, weniger ihn spielen.

C Morawski

Leicht gesagt, schwerer zu machen. Drei Nächte konnte ich nicht schlafen. Bald bekam ich das Drehbuch und konnte feststellen, daß es zwar kleine, aber sehr wichtige Szenen waren. Werden sich die Zuschauer aufgrund meiner Darstellung den Papst als jungen Mann vorstellen können? Und wie wird der Papst selbst...?

Mit all diesen Fragen belastet, begann ich meine Vorbereitungsarbeiten: Studium des Lebenslaufes, Lektüre, Fotos, Tonbandkassetten, Dokumentarfilme, liturgische Haltung bei der vorkonzilia-ren Messe in lateinischer Sprache ...

Den 11. November 1980 werde ich nie vergessen. An diesem Tag hatten wir die Aufnahmen der Primizmesse des jungen Karol Wojtyla in der Krypta des Heiligen Leonardo unter dem Hauptschiff der Krakauer Wawelkathe-drale. Der 11. November ist für Polen ein besonderes Datum. An diesem Tag kam es 1918 zur Wiedergeburt Polens nach mehr als hundertjähriger Abwesenheit auf der Europakarte.

1980 kam noch ein Umstand dazu. Anfang November hat das Woj-wodgericht in Warschau die neuentstandene Gewerkschaft „Solidarnosc" legalisiert. In der Kathedrale wurde eine heilige Messe gelesen und die Hochstimmung war bis in die Gruftkapelle hinein zu spüren.

Den älteren Karol Wojtyla sollte ein entsprechend älterer Kollege spielen. Glücklicherweise hatte der Produzent keinen entsprechenden Schauspieler gefunden, und so entschloß sich Zanussi, daß ich auch den Papst im höheren Alter verkörpern sollte. Das Schminken dauerte knapp zwei

Stunden — aber wie echt sah ich aus!

Die Einfahrt Bischof Wojtylas in den Vatikan mußten wir aus technischen Gründen mehrmals wiederholen. Bei einer nächsten Fahrt beobachtete ich eine kleine Touristengruppe, die diese Szene sehr interessiert betrachtete. Einige wiesen die anderen auf das Auto hin. Unbewußt wollte ich mich tiefer setzen. Es war aber schon zu spät. Während der nächsten Wiederholung dieser Szene wurde „Papst Johannes Paul II." von den Touristen begrüßt. „Gott und der Papst werden mir diese kleine Schuld vergeben", dachte ich bei mir und begrüßte die Gruppe mit der stundenlang einstudierten Geste.

Solche Situationen erlebte ich während der Dreharbeiten zu diesem Film öfters. Nur die gründliche Vorbereitung auf diese Rolle erlaubte mir, aus diesen kleinen Abenteuern mit heiler Haut davonzukommen. Niemals hätte ich erwartet, daß auf eine so kleine Rolle, wie mir Zanussi im ersten Gespräch sagte, so große Schwierigkeiten zukommen würden. Noch vor Beendigung der Dreharbeiten fand die Begegnung mit dem Papst statt. Diese Erfahrungen werde ich mir bewahren.

Nach der Erstaufführung des Filmes „Aus einem fernen Land" im Rahmen der Biennale 1981 in Venedig hat mir jemand die Frage gestellt, ob ich denn „zum Stall Zanussis" gehöre. Stall, das ist ein spezifisches Gebäude, in dem nur die Pferde ständig sind. Pferde und Jockeys kommen und gehen. Die Leistungsfähigkeit, die Saison und die Termine spielen dabei eine Rolle. Leider war es mir nicht gegönnt, im letzten Film Krzysztof Zanussis mitzuarbeiten. Aber dennoch: In Zanussis Stall habe ich eine Box.

Der Autor studierte Schauspiel und Regie in Warschau, war einer der wenigen nicht westlichen Darsteller in dem — in Polen noch nicht gezeigten — Papstfilm und arbeitete zuletzt als Regiehospitant am Wiener Burgtheater.

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