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Glaube und Absurdität

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Einige der bedeutendsten gegenwärtigen Filmregisseure kommen aus Polen. Was sagt einer von ihnen -Krzysztof Zanussi - zu den Themen Freiheit, Schuld und Religion?

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Einige der bedeutendsten gegenwärtigen Filmregisseure kommen aus Polen. Was sagt einer von ihnen -Krzysztof Zanussi - zu den Themen Freiheit, Schuld und Religion?

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In den Filmen ,JStruktur des Kristalls“ und Familienleben“ werden Menschen gezeigt, die in Entscheidungssituationen stehen. Es wird beschrieben, welchen weiteren Weg diese Menschen einschlagen. Das setzt voraus, daß man selbst entscheiden kann.

KRZYSZTOF ZANUSSI: Ja, genau; das ist wahr. Ich habe viele Jahre meiner Erziehung in einem marxistischen Staat verbracht, ich bin gewohnt zu denken, daß wir alle konditioniert sind in unseren Entscheidungen; aber es bleibt immer ein Rest von individueller Freiheit, und das interessiert mich sehr: Wie kann man gegen eigene Bedingungen entscheiden und wie kann man eigene Freiheit verwirklichen? Dieses Thema findet sich in allen meinen Filmen.

Dieser Freiheit sind enge Grenzen gesetzt.

ZANUSSI: Diese individuelle Freiheit ist begrenzt. Die Entdek-kungen von Karl Marx und Sigmund Freud sind für mich wichtig und haben auch ihre Gültigkeit, aber sie sind nicht absolut zu nehmen. Das ist nur ein Teil.

Gerade Sigmund Freud betonte, daß durch die Triebstruktur dem Menschen die Herrschaft über sich selbst entzogen ist.

ZANUSSI: Ich anerkenne das, aber man kann das nicht verabsolutieren, das ist nur teilweise wahr. Die ganze Wahrheit ist: Es bleibt immer eine Möglichkeit zu wählen.

Das bedeutet: Man ist verantwortlich für sein Tun.

ZANUSSI: Ja, und hierin bin ich tief überzeugt, daß der gegenwärtigen, westlichen Konsumkultur dieses Bewußtsein fehlt. Die Menschen sind sich nicht bewußt genug, daß sie auch verantworte lieh sind für ihr Tun. Man spricht und denkt so oft, daß der Mensch ein Produkt der Gesellschaft ist. Ich glaube, das ist schon eine große Reduktion, das ist ein reduziertes Bild vom Menschen.

Wenn ein Mensch Verantwortung übernehmen kann, dann kann er auch schuldig werden.

ZANUSSI: Schuld ist eine sehr wichtige Entdeckung. Ich glaube, daß Schuld ein Hauptthema in meinen Filmen ist. Ich bin sehr stolz, wenn meine Figuren erleben und entdecken, daß die Erkenntnis von Schuld eine Befreiung ist. Ohne den Begriff von Schuld können wir nicht frei sein. Das ist sehr negativ, wenn wir nicht mehr glauben, daß wir schuldig sind.

Ist das in einem religiösen Kontext zu verstehen?

ZANUSSI: Ja, man kann das in einem religiösen Kontext verstehen. Ich glaube, Religion gibt einen Vorschlag, wie man mit Schuld weiterleben kann, und bietet eine Möglichkeit an, sich von Schuld zu befreien. Aber zuerst muß man das erkennen.

Wie soll man sich von Schuld befreien können?

ZANUSSI: Es gibt eine Möglichkeit der Vergebung, und man kann die eigene Schuld bedauern, aber zuerst muß man bewußt annehmen, daß Schuld existiert.

Denken Sie, daß Sie nach Ihrem Tod zur Verantwortung gezogen werden?

ZANUSSI: Ich glaube: ja; vor dem Tod schon.

In welcher Weise?

ZANUSSI: Ich habe mein Po-' tential wie jeder Mensch, und ich habe Erfahrung in einer Gesellschaft, wo das Leben viel kon-trastierter und viel dramatischer ist als im Westen. Aufgrund dieses Lebens und dieser Bedingungen sehen wir viel klarer, daß jeder bestimmte Chancen und ein bestimmtes Potential hat. Es ist so leicht, sein eigenes Leben zu verspielen. Am Gang des Lebens sieht man so stark, wie viele Leute im Leben eine Lüge oder eine Schwäche haben, die dieses Potential ganz vernichtet. Oder sie vergeuden ihr Potential, sodaß sie ohne eine Realisation bleiben.

Wie erklären Sie sich, daß Menschen ihr Potential vernichten, wenn sie eigentlich ein sehr reiches Leben führen könnten?

ZANUSSI: Das bedeutet eine große Arbeit. Ich glaube, das Böse existiert auch. Das Böse lädt uns ein, wir treffen oft Entscheidungen, die sehr schlecht sind.

Nach Kants Moralphilosophie kann nur der Betreffende selbst beurteilen, ob er moralisch gehandelt hat oder nicht, kein anderer.

ZANUSSI: Das glaube ich im Prinzip auch, das ist auch der Standpunkt des Evangeliums, daß wir niemanden beurteilen dürfen, aber im Praktischen haben wir eine Vorahnung; unsere Gefühle sagen uns manchmal besser, was im Leben eines anderen unbedingt schlecht und böse ist, aber selbstverständlich haben wir kein Recht, einen anderen zu verurteilen.

Dieser Mensch hat ein anderes Potential...

ZANUSSI: Ja, genau, man muß sehr vorsichtig sein.

Sind Sie gläubig?

ZANUSSI: Glaube ist ein Urgrund für meine Entscheidungen. In diesem Begriff gibt es eine andere Logik, eine Logik im Geheimnis, das wir nicht verstehen. Wenn wir das nicht akzeptieren, müssen wir denken, daß die Welt eine Absurdität ist. Ob man glauben kann oder nicht, das ist keine intellektuelle ,Wahl, aber wenn man nicht glaubt, dann muß man schon annehmen, daß die Welt unkontrollierbar ist und ein riesiges Gebirge von Absurdem.

Und um sich gegen dieses Chaos abzusichern, wählen Sie Gott als das Postulat der praktischen Vernunft von Kant.

ZANUSSI: Ja, hier bin ich mit Kant einverstanden.

Wir müssen so handeln, als ob es Gott gäbe.

ZANUSSI: Ja, ich glaube, das hilft. Das ist einfach nur eine praktische Haltung.

Warum drehen Sie Filme außerhalb von Polen?

ZANUSSI: Jeder Künstler versucht, ein möglichst großes Publikum zu finden, ich bin tief überzeugt und es ist auch mein Temperament und Interesse, andere Leute zu überzeugen, daß unsere existentielle Erfahrung gilt, daß wir etwas wissen, daß wir in diesem Land etwas erlebt haben, was vielleicht einen Wert hat. Und das kann ich nur beweisen, wenn ich ein Publikum im Ausland finde, wenn ich in anderen Sprachen drehe.

Ich bin Pole, und ich bin auch Europäer. In unserer Zeit, die eine audiovisuelle, informatische Epoche ist, muß man alle möglichen Brücken bauen zwischen den verschiedenen Ländern. Ich bringe meine Erfahrungen aus Polen in andere Länder, und wenn ich nach Polen zurückkomme, kom- 1 me ich mit anderen Perspektiven. Ich sehe viele polnische Sachen aus einer anderen Perspektive, vielleicht kritischer und nicht so euphorisch wie mein eigenes Volk.

Würden Sie sich als Grenzgänger bezeichnen?

ZANUSSI: Ja, mein Ururgroß-vater ist während der österreichischen Kaiserzeit von Friaul nach Galizien gekommen, um eine Eisenbahn zu bauen. Das hat Europa schon ein wenig verbunden. Wenn ich etwas Ähnliches machen darf, wäre das für mich eine Fortsetzung meiner Familientradition.

Das Gespräch führte Klaus Dermutz.

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