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Ein Mann von Welt

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Harry Graf Kessler (1868-1937), Diplomat und Kunstkenner, war so etwas wie ein feinfühliges Barometer seiner Generation. Vor allem aber war er auch Kosmopolit: Sproß einer wohlhabenden schweizerisch-irischen Bankiers-Familie aus Paris, dessen Vater vom deutschen Kaiser Wilhelm I. geadelt wurde.

Kesslers Unglück war es, daß er die Zeit brutaler nationaler Konflikte durchleben mußte. Seine politische Karriere war kurz, tragisch und absurd zugleich. Das zeigt sich vor allem in seiner Beziehung zu Walter Rathenau, dessen Biographie Kessler nach dem Attentat auf diesen Außenminister der Weimarer Republik verfaßte.

Die soeben erschienenen Tagebücher Kesslers beginnen mit den diplomatischen Beziehungen des Autors zum polnischen Marschall Pilsudski und enden kurz vor seinem Tod in einem kleinen burgundischen Dorf. Die Breite und Vielfalt von Kesslers Erfahrungen und Bekanntschaften war beispiellos: Politische und kulturelle Größen ziehen durch die Seiten seiner Tagebücher, wir finden ihn in engen Kontakten zu Strese-mann, Cocteau, Einstein, Briand, Shaw und Harold Nicholson. So lesen sich seine Tagebücher, wie eine Mischung von Tocqueville und den Goncourts.

Kessler schrieb mit der Klarheit des Französischen und seine Beobachtungen waren niemals banal. Weitreichende geistige Beziehungen gaben ihm Einblick in viele Bereiche der westlichen Kultur. Sein Buch ist ein wichtiges Nachschlagwerk über eine Epoche und ein Kunstwerk auf hohem Niveau.

HARRY GRAF KESSLER-TAGEBÜCHER 1918-1937, Politik, Kunst und Gesellschaft der zwanziger Jahre. Insel Verlag, Frankfurt 1979. 799 Seiten, öS 300,20.

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