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Ein Meisterwerk

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Leo Perutz hat sich zwanzig Jahre Zeit gelassen für den Roman „Der Judas des Leonardo“: 1937 begonnen, 1957 beendet, wenige Wochen vor dem Tod. Die pseudohistorische Erzählung spielt um 1500 und ist so raffiniert konstruiert, daß man die Konstruktion nicht bemerkt. Nur ein gelernter Mathematiker, der ein Dichter war, konnte diese bravouröse Klitterung geschichtlicher Tatsachen und Umstände mit purer Erfindung so zusammenfügen.

Der berühmte Maler wird gedrängt, die unterbrochene Arbeit am „Abendmahl“ fortzusetzen; er sucht aber vergebens das rechte Modell für den Judas, der ja sah, er werde Jesus „allzusehr heben müssen, und sein Stolz ließ das nicht zu“. Ungeeignet ist der lieblose Geldverleiher Boccata aus Mailand, der alle betrügt und aus Geiz wie ein Bettler lebt. Der reisende Kaufmann Behaim aus Deutschland kommt in die Stadt, um eine alte Schuld bei Boccata einzutreiben, der ihn auslacht. Behaim verhebt sich in eine schöne Frau und verrät seine Liebe, als er erfährt, daß sie die Tochter des Pfandleüiers ist. Als er nach Jahren wieder in die Gegend kommt, sind alle entsetzt beim Anblick des Fremden: „Der Judas!“ Denn das Gemälde ist vollendet, und der meisterliche Roman bildet indirekt die völlig unpolemische Reaktion des Romanciers auf den absolut lieblosen Antisemitismus: Zum Judas-Modell wurde Behaim, also ein Deutscher.

DER JUDAS DES LEONARDO. Von Leo Perutz. Verlag Paul Zsolnay, Wien, Darmstadt 1988. 229 Seiten, öS 198,-.

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