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Ethik ohne Glauben?"

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Der zweite Band der „Philosophie der Vollkommenheit" von Hugo Ingrisch wird von einem hohen ethischen Wertbewußtsein getragen und sieht die Aufgabe der Philosophie darin, „nach Aufteilung der Seinswirklichkeit unter die Einzelwissenschaften" und unter Aufarbeitung antiker, mittelalterlicher und moderner Philosophie, eine Wertlehre zu entwickeln, die in der Idee der Vollkommenheit den „archimedischen Punkt" sieht, „von dem aus sich allein die Welt aus den Angeln heben läßt."

Der Vorzug der Ausführungen besteht darin, daß sie keinem naiven (mitunter auch „ruchlos" genannten) Optimismus und ebenso keiner unkritischen Fortschrittseuphorie verfallen, sondern in beeindruckender Realistik die Unvollkommen-heiten und Leiden zur Kenntnis nehmen. Aus der daraus folgenden Erschütterung ergibt sich das alte Problem der Theodizee (wie konnte Gott eine solche Welt der Leiden schaffen) und ist es auch zu verstehen, daß Ingrisch einen sehr engagierten Agnostizismus vertritt: wir können Gott, wenn auch nicht leugnen, so doch nicht erkennen, ja seine Existenz erscheint eher widersprüchlich angesichts, der Sinnlosigkeiten, denen ein menschliches Leben ausgesetzt ist.

Die Vorstellung einer vollkommenen Gottheit braucht gewissermaßen nur säkularisiert zu werden in die Hoffnung, daß im Laufeiner, wenn auch nicht geradlinigen, so doch möglichen Entwicklung das Ziel menschlicher Vollkommenheit erreichbar scheint.

„Eine fundamentale ethische Erkenntnis allerersten Ranges bildet die Einsicht, daß der vollkommene Mensch das vornehmste Entwicklungsziel ist". Allerdings möchte man daran die Frage knüpfen: erfordert ein solches Ziel nicht den gleichen Glauben wie jenen an Gott? Und welcher von beiden Glauben ist der vernünftigere, gerade angesichts jenes „eudämonologischen Pessimismus", wie ihn Ingrisch dargestellt hat? Jedenfalls ist man schon neugierig auf den folgenden dritten Band, der die aus seiner Wertethik folgenden Aktivitäten darstellen und rechtfertigen will.

PHILOSOPHIE DER VOLLKOMMENHEIT, Band Ii-Philosophie des Wertens. Von Hugo Ingrisch, Verlag Wolfgang Neugebauer Salzburg 1980, 762 Seiten, öS 900.-

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