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Beichten ist out, Outing ist in

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Beichte - endlich ist Schluß mit dieser frommen Geheimnistuerei. Die moderne Beichte ist längst ins strahlende Licht einer erwartungsvollen Öffentlichkeit getreten.

Nein, keine erzwungene Selbstbezichtigung unseligen Gedenkens. Längst passiert alles freiwillig. Es geht um die Schickirmicki-Version der Beichte, wie sie seit einiger Zeit von gewissen Leuten in Kunst und Kultur, in der Innenpolitik und in den Medien praktiziert wird.

Was da geschieht, kann man natürlich nicht mehr mit einem so altmodischen Wort wie „beichten” bezeichnen. Die fesche Erfolgsgeneration beichtet nicht, sie „outet” -auf schlicht deutsch: sie gibt, sie.läßt etwas heraus. Und in noch einer Hinsicht ist die gute alte Beichte modernisiert worden: in Omas Beichtstuhl pflegte man über sich selbst Mitteilung zu machen.

Im „Medien-Beichtstuhl”, also vor dem Mikrophon oder vor laufender Kamera, teilt man beziehungsweise frau vornehmlich Tatsachen mit, die andere Leute betreffen. So geht auch die Nächstenliebe völlig neue Wege. Der liebe Mitmensch soll fürderhin nicht mehr dem seelischen Streß einer öffentlichen Beichte ausgesetzt sein, das besorgen in Zukunft andere für ihn. Der biblische Satz „Einer trage des anderen Last” bekommt dadurch völlig neue Perspektiven. Geprägt hat den makabren Begriff „Outing” der deutsche Regisseur Rosa von Praunheim.

Er hat vor allem geoutet, wer von seinen prominenten Zeitgenossen und Zeitgenossinnen homosexuell ist. Herr von Praunheim war allerdings etwas frustriert, weil die Betroffenen über das „stellvertretende Bekenntnis”, das da für sie abgelegt worden ist, absolut nicht begeistert waren.

Lernt hier vielleicht eine ganze Generation nicht mehr zu unterscheiden zwischen persönlicher Ehrlichkeit und einem Exhibitionismus, dessen Mediengeilheit von den Sendeanstalten bereitwillig akzeptiert wird. Da lob ich mir die gute alte Beichte in den Kirchen, weil sie die'Integrität eines Menschen wahrt.

Aber vielleicht wird auch die ou-tingfreudige Generation eines Tages merken, daß es Dinge gibt, die man nur Gott sagen sollte.

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