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Der Lärm als Droge Die Entscheidung des

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Verwaltungsgerichtshofes, die die zulässige Lärmgrenze für Diskotheken festgesetzt und herabgesetzt hat, lenkt die Aufmerksamkeit aüf die Lärmerregung, die für die Mehrheit der Menschen eine Quelle der Belästigung und Leiden, für manche und unter besonderen Umständen zu einer gesuchten Annehmlichkeit, ja zu einer Sucht und Droge werden kann.

Denn der Begriff der Droge ist längst nicht mehr auf chemische Substanzen und Medikamente beschränkt. Viele Dinge, die ¦ der Definition der Droge im engeren Sinn nicht entsprechen, werden mit Recht als Drogen und Süchte bezeichnet. Wir sprechen von Workaholics und identifizieren zum Beispiel auch die Kaufwut als Sucht.

Auch der Lärm kann so für junge Menschen und besonders in Diskotheken zu einer Sucht werden, deren Befriedigung mit den Interessen der Öffentlichkeit, aber auch mit der Gesundheit der Besucher selbst kollidiert, weshalb das Gericht einschreiten muß, um Ordnung zu schaffen. Die Lärmsucht ist eine besonders verräterische Variante der Sucht und Obsession, sie offenbart das Bedürfnis nach Betäubung und die Flucht vor der Stille, in der Besinnung und Kontemplation gedeihen. Das von Viktor E. Frankl diagnostizierte „existentielle Vakuum“, dem ein horror vacui entspricht, läßt die von ihr befallenen jungen oder auch älteren Menschen in den Lärm fliehen, der die Stimme des eigenen Gewissens und auch die Stimme Gottes übertönt und einem übermächtigen Reiz, der alle leisen Antriebe erstickt, ausliefert.

Es wird nicht als Nachteil, sondern als Entlastung vom Zwang zur Kommunikation empfunden, wenn unter diesen Bedingungen kein Gespräch Zustandekommen kann. Die sanfte Berieselung durch das Fernsehen, der man sich Stunden des Tages aussetzt, wird durch das Dröhnen des Lärmes, der keine Information vermittelt, wohl aber Stimmung schaffen kann, ergänzt und negativ überboten. Der Lärm wird so zum Symbol einer Welt, in der nur die starken Reize gefragt sind und die leisen Töne und Zwischentöne untergehen. Das Gericht kann Schutzmaßnahmen ergreifen, um übergeordnete Interessen zu wahren, wer aber schützt die willigen Opfer vor sich selbst?

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