7099534-1995_06_18.jpg
Digital In Arbeit

Fernseh-Beben

Werbung
Werbung
Werbung

Sehr erstaunlich ist, daß ein Erdbeben in der Werbe-branche des Fernsehens in Deutschland in den westlichen Massenmedien fast überhaupt keine Resonanz gefunden hat: bloß der „Spiegel” wagte eine drei Seiten, lange Darstellung der absolut sensationellen Angelegenheit. Der nur scheinbar gefundene archimedische Punkt der Fernsehökonomie kam nämlich ins Wanken.

Es war, als würde ein Sonnensystem zusammenstürzen. Hatten sich doch die Fernsehdirektionen und die Industrie geeinigt, daß die Feststellung von Einschaltziffern (durch die Nürnberger „Gesellschaft für Konsumforschung”) unbedingt verläßlich sei, Granit, auf dem ganze Kathedralen stehen können. Das Milliardengeschäft mit der Fernsehwerbung konnte exotisch florieren, denn man schien sich darauf verlassen zu können, auf dem Gebiet der Einschaltquote allwissend zu sein wie der liebe Gott: Durch etwa 4.000 streng geheim gehaltene Familien, in deren TV-Apparaten das Einschaltmeßgerät eingebaut ist. Die Auswahl dieser Familien stand überhaupt nicht zur Diskussion, und der Mechanismus des Riesengeschäfts funktionierte viel zu gut, als daß jemand die Glaubhaftigkeit der Maschinerie angezweifelt hätte.

Nun waren aber dem erfolgsgewohnten Manager des Münchner Senders „Kabel 1” Merkwürdigkeiten aufgefallen, etwa, daß vor allem RTL und RTL 2 meist ganz besonders gut abschnitten. Auf energisches Drängen mußte die „Konsumforschung” zugeben, daß die Software versagt und monatelang Impulse falsch zugeteilt hatte. Der Schaden ging in die Millionen. Der Fluß der Werbung war fehlgeleitet, Programme waren verändert worden, durch die notwendigen Korrekturen wurde das Chaos perfekt. Was außerdem geschah, war noch viel folgenreicher: jeder begann an der trügerischen Sicherheit der Ein-schaltziffern bei den Programmdispositionen zu zweifeln.

Wer waren eigentlich diese angeblich repräsentativen Testfamilien? Wer ließ sich solche Meßgeräte überhaupt einbauen? Die Erfolgsmessung der Fernsehwerbung wankte. Das Ptolemäische Weltbild der Fernsehwerbung drohte einzustürzen. Würde ein neues, Kopernikanisches aufkommen? Der Schock ist gewaltig. Die Quotenanbeter in den Fernsehdirektionen sind einer hochcomputerisierten Illusion aufgesessen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung