Radetzkymarsch: Klatschen mit Kontext

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Ärger über den Radetzkymarsch beim Neujahrskonzert? Ein bisschen emotionale Distanz zur eigenen Nationalgeschichte scheint allemal ratsam, meint Daniela Strigl.

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Ärger über den Radetzkymarsch beim Neujahrskonzert? Ein bisschen emotionale Distanz zur eigenen Nationalgeschichte scheint allemal ratsam, meint Daniela Strigl.

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Gute Laune kann durchaus etwas Provokantes haben für Menschen, die der Welt grundsätzlich skeptisch bis mieselsüchtig gegenüberstehen. Eine Herausforderung bedeutet diesbezüglich der Neujahrstag, und an diesem insbesondere die Fernsehübertragung des Neujahrskonzertes. Die Kultursprecherin der Grünen stellt sich dieser Herausforderung alljährlich wacker, um zu überprüfen, ob die Philharmoniker ihr Konzert tatsächlich wieder mit dem Radetzkymarsch beschließen. Und siehe da, sie tun es, wozu die Zuschauerin auf Twitter-X bemerkt: „Tradition wird hoch gehalten bei den Philharmonikern und dem Publikum des Neujahrskonzert, weil’s halt immer so schön ist, das Klatschen, Huldigung für den Sieg über Piemont und der k.k Armee über die Wiener Bevölkerung in der ‚Praterschlachr’#Radetzkymarsch in Zeiten der Kriege“.

Nun leben wir leider immer „in Zeiten der Kriege“, ob nah, ob fern. Zudem wird kaum jemand im Musikvereinssaal sein Mitklatschen als Huldigung für Radetzky verstehen; man könnte sich aber auch damit abgefunden haben, dass Österreich halt nicht immer der neutrale Zwergstaat der Gegenwart war und seine kaiserliche Armee auch einige Schlachten gewonnen hat, darunter 1848 die von Custozza gegen das Heer des Königs von Sardinien. Als pazifistische Bürgerin von heute muss man darauf nicht stolz sein, aber man muss sich auch nicht grämen und schämen, zumal nicht Radetzkys Truppen, sondern die revolutionären Nationalgardisten die demonstrierenden Erdarbeiterinnen in der Praterschlacht im August ’48 niederkartätschten. Welcher berühmte Feldherr wäre denn keine „ambivalente“ historische Persönlichkeit gewesen? Welches Denkmal würde einen „woken“ Sturm überstehen? Ein bisschen emotionale Distanz zur eigenen Nationalgeschichte scheint allemal ratsam. In Sachen Wiener Zeitung hat die grüne Kultursprecherin sie im Übermaß bewiesen.

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