Am Dienstag dieser Woche nahm Katja Gasser, Leiterin des Literaturressorts im ORF-Fernsehen, den Staatspreis für Literaturkritik in Empfang. Das ist insofern etwas Besonderes, als der Preis gewöhnlich für klassische, also schriftliche Kritik verliehen wird und Gassers Schwerpunkt naturgemäß auf Feature, Portrait und Interview liegt. Auf diesem Gebiet hat sie sich aber durch eine TV-unübliche Seriosität ausgezeichnet: Tatsächlich liest sie die Bücher, über die sie berichtet. Und sie tut es klug und anschaulich und mit Leidenschaft. Legendär ist nicht zuletzt die „sympathische Gnadenlosigkeit“ (Laudator Manfred Müller) ihrer Interviews; vor allem mit Peter Handke entstand das eine oder andere Glanzstück zwischen Flirt und hochnotpeinlicher Befragung.
Ob eine Literaturberichterstattung dieses Niveaus beim ORF gut aufgehoben ist, wage ich indes zu bezweifeln. Zwar profitiert der Sender von Katja Gassers Kompetenz, wenn ein rotweißroter Nobelpreisträger vom Himmel fällt, aber die Literatur insgesamt spielt bei der Erfüllung des „Kulturauftrags“ eine immer bescheidenere Rolle. Nun soll auch noch die Sendung „Lesart“ eingestellt werden, bei der Christian Ankowitsch als charmanter Gastgeber literarischer Gäste fungiert: Zu selten, zu kurz und zu spät in der Nacht, hat es dieses Format schwer, einschlägig Interessierte zu erreichen. Aber anstatt „Lesart“ zu reformieren, schafft man sie ab – ersatzlos. Dabei funktioniert das bewährte Streitgespräch über Bücher vor Publikum (etwa der „Literaturclub“ des SRF) nach wie vor. Vielleicht sollte der Bildungsauftrag weniger dem Fernsehvolk als der Anstalt selbst gelten: Dass der ORF nun als einziger öffentlich-rechtlicher Sender im deutschen Sprachraum keine eigene Literatursendung mehr im Hauptprogramm haben soll, scheint dort niemandem peinlich zu sein.
Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.