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Fragile „Allianz der Vernunft"

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Eine „Koalition der Vernunft" wird in Deutschland gefordert, um gegen die Pogromstimmung anzukämpfen, die im sächsischen Hoyerswerde zu entsetzlichen und beschämenden Angriffen auf Ausländer geführt hat. Aber der „häßliche Deutsche", wie er sich in dieser Lausitzer Stadt zeigte, ist kein lokal begrenzbares Phänomen. Brave Bürger, die zuschauen, wenn rechtsradikale Schläger Ausländer verprügeln, Bürger, die diese entfesselten Horden auch noch anfeuern.

Ein Rückfall in die Barbarei -oder der ganz normale Wahnsinn, der sich über Europa auszubreiten beginnt? Hemmungsloser Kampf gegen Minderheiten, Terror gegenüber Asylanten, Aggressivität gegen Fremde. Der Gastarbeiter ist wieder zum Ausländer geworden.

Auch der Vorsitzende des Wiener SPÖ-Gemeinderats-klubs, Karl Svoboda, sprach sich dieser Tage für eine „Allianz der Vernunft" aus. Die Ausländerfrage als Wahlkampfthema in Wien - da steigen den Vernünftigen die Grausbirnen auf. Und schon ist der Grundkonsens aller Parteien da: Österreich ist kein klassisches Einwanderungsland und kann nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen. Begrenzung der Zuwanderung sei „unumgänglich" und vor allem müsse sichergestellt werden, daß

die Bedürfnisse der Wirtschaft nach qualifizierten Arbeitskräften gestillt werden - wenn schon Ausländer hereinkommen.

Die „Allianz der Vernunft" ist das kleinste gemeinsame Vielfache der gemeinsamen Interessen, und von dieser schmalen Plattform wird, ganz unabsichtlich, die Humanität abgedrängt.

Ganz unabsichtlich geschieht's natürlich nicht, denn Parteien wollen Stimmen gewinnen, und die „Allianz der Vernunft" ist fragil. Wenn nur einer unvernünftig wird, schlägt sie sofort ins Gegenteil um. Svoboda hat ganz pragmatisch argumentiert: Man dürfe die ausländischen Bürgerinnen und Bürger nicht ausgrenzen, „die zum Funktionieren der Wirtschaft und zur Sicherung unseres hohen Lebensstandards beitragen". Das sei „ein Gebot der Menschlichkeit".

Nein, mit Verlaub: Das ist nur zur Sicherung des Eigeninteresses. Die ist natürlich auch menschlich, aber die Menschlichkeit finge dort an, wo notfalls kleine Einbußen des Lebensstandards hingenommen werden, um einen Ausgleich zugunsten derer zu schaffen, die draußen vor der Tür unserer Wohlstandsgesellschaft stehen.

Wir können unsere Türen natürlich auch fest verrammeln. Stabiler und sicherer wird die Welt deshalb nicht. Nur noch gefährlicher.

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