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Für 40 Ostmark verraten sie den Nachbarn

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Der Staatssicherheitsdienst der DDR will die Bekämpfung politischer Gegner im eigenen Lande wieder einmal verstärken, und das soll nicht zuletzt auch mit Hilfe von Rentnern geschehen. Auf einer Veranstaltung der „Volkssolidarität” in Dresden erklärte der Minister für Staatssicherheit, Mielke, vor etwa 4000 Rentnern, es seien „höchste Wachsamkeit und größere Anstrengungen” erforderlich, um „vorbeugend ein Wirksamwerden gegnerischer Kräfte zu unterbinden”. Abschließend forderte Mielke die Rentner auf, künftig mit den Organen der Staatssicherheit zusammenzuarbeiten.

Tatsächlich besteht bereits seit einiger Zeit eine Zusammenarbeit zwischen DDR-Rentnern und SSD, denn der Staatssicherheitsdienst des SED- Staates zwingt immer mehr Rentner zu Beobachtungs- und Spitzeldiensten. Das geschieht vor allem in Hausgemeinschaften, in Kirchengemeinden und Gotteshäusern. Dort sollen in der Hauptsache Predigten, deren Inhalt und Tendenz notiert und ständige Gottesdienstteilnehmer, vor allem Jugendliche und SED-Mitglieder, registriert werden. Innerhalb der Hausgemeinschaften wieder sollen die Rentner besonders darauf achten, welche Familien regelmäßig westliche Rundfunk- und Fernsehsender abhören. Stellt sich bei irgendeiner Familie innerhalb der Hausgemeinschaft Westbesuch ein, so sollen die für df ‘ SSD tätigen Rentner ermitteln, welche Gespräche mit den Besuchern geführt werden.

Natürlich stellt sich nicht jeder Rentner in der DDR für eine solche Spitzeltätigkeit zur Verfügung, aber es bleibt eine nicht unerhebliche Zahl betagter alter Menschen, die der SED-Propaganda Glauben schenken und für die Organe der Staatssicherheit in der DDR tätig sind. Diese „Informanten” werden natürlich auf ihre Spitzeltätigkeiten vorbereitet. Das geschieht in Kurzlehrgängen, die in allen Bezirken der DDR vom Ministerium für Staatssicherheit durchgeführt werden.

DDR-Rentner, die für die Organe der Staatssicherheit als „Informanten” beschäftigt sind, erhalten für ihre Spitzeltätigkeit monatlich ein Pauschalhonorar von 40 Ostmark. Dieses Honorar kann durch „besondere Leistungen” aufgebessert werden. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn der Spitzel eine Beobachtung macht, die für den SSD von besonderem Interesse ist. Zudem kommen die betagten SSD-Schnüffler auch in den Genuß anderer Vorteile. Bevorzugte Ferienreisen innerhalb der DDR sind ihnen beispielsweise sicher.

Die „Hauptverwaltung Aufklärung” des Ministeriums für Staatssicherheit will künftig auch Rentner als Agenten in die Bundesrepublik und nach West-Berlin mit entsprechenden Aufträgen schicken. In Ost-Berliner Geheimdienstkreisen ist man der Meinung, daß ein DDR-Rentner, der Verwandte oder Bekannte in der Bundesrepublik besucht, viel unauffälliger Aufträge ausführen kann, als ein herkömmlicher Agent. Zu diesem Zweck schult das Ministerium für Staatssicherheit zwanzig geistig noch frische DDR-Rentner in einer Sonderschule. Diese Schule soll sich in der Nähe von Guben befinden. Wie zu erfahren war, werden diese Rentner mit der Handhabung einer besonderen Kamera vertraut gemacht. In der Bundesrepublik sollen sie damit militärische Objekte photographieren.

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