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Gegen den Frust der grauen Stadt

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Schon zum fünften Mal ging heuer das Wiener Stadtfest über die Bühne. Ein neuer Besucherrekord und die vielen Bürgeraktivitäten in den Bezirken bestätigen die Veranstalter.

Am Nachmittag war das Gedränge vor der Bühne am Hof schließlich beängstigend. Und trotzdem: Auch die paar Unruhestifter konnten den Gesamteindruck nicht stören. Dieses 5. Wiener Stadtfest am 24. April bot „Schöne Aussichten" (so das diesjährige Motto der Veranstaltung).

Genau eine Woche vor den martialisch anmutenden 1. Mai-Aufmärschen zum Rathausplatz setzte die Wiener Volkspartei einen facettenreichen Kontrapunkt auf den Plätzen und Straßen der Inneren Stadt. Und obwohl sich in den fünf Jahren doch auch einige Programmangebote abgenützt haben, die Veranstalter konnten— begünstigt durch das schöne Wetter — neuen Besucherrekord vermelden.

Rund eine Viertelmillion Menschen gustierten und beklatschten Operetten- und Musicalmelodien genauso frenetisch wie die schrägen Töne einer Berliner „New Wave"-Formation. Das „Original Oberkrainer Echo" fand am Graben ebenso seine Zuhörer wie Jiddische Lieder am Judenplatz.

„Das Wiener Stadtfest ist als Gegenbeispiel gedacht, als Medizin gegen Frustration, gegen die Brutalität der Städte, gegen die daraus resultierende Stadtflucht, gegen die Resignation über die Stadtzerstörung", umreißt Erhard Busek die Motive, die am Beginn der Stadtfest-Idee 1978 standen.

Und des schwarzen Vizebürgermeisters Vision einer „lebenswerten, funktionierenden, menschlichen Stadt", findet ihre praktische Entsprechung nicht nur in der Inbesitznahme der Wiener Innenstadt durch die Bevölkerung an einem Samstag im Jahr.

Die Informationsstände der Bezirksorganisationen am Kohlmarkt deuten an, was in Wien in den letzten Jahren in Bewegung geraten ist.

Die Stadtfest-Initiative hat kreative Bürger animiert und ermutigt, das Jahr über „Grätzelfeste" in den Bezirken zu organisieren. Die Bürger warten mit konkreten Vorschlägen zur menschengerechteren Gestaltung ihrer unmittelbaren Umwelt auf: da eine Grünfläche, dort ein neuer Kinderspielplatz, die Revitalisierung eines „Beserlparks" in einem Hinterhof oder der Plan für einen Radweg.

Sicher, das Stadtfest allein hat die Leute nicht motiviert. Das Umweltbewußtsein der Städter insgesamt ist gestiegen. Aber das erfolgreiche Spektakel blieb auch nicht ohne Auswirkungen auf die Rathausmehrheit. Solcherart herausgefordert, versucht die Wiener SPÖ, den Zug nicht zu verpassen. Das Straßentheater -festival vor zwei Jahren oder das heuer bereits zum zweiten Mal in Szene gehende „Festival der Clowns" auf der Jesuitenwiese im Prater signalisieren den kulturellen Aufbruch einer Stadt, die zwischen Staatsoper und Raimundtheater zu erstarren drohte.

Mit dem Fest in der Stadt ist der Wiener Volkspartei aber noch etwas gelungen: Indem sie sich als Veranstalter nie in den Vordergrund drängt, spürt der Besucher, daß alle willkommen sind, niemand ausgeschlossen oder diskriminiert wird — selbst dann, wenn er sich mit der ÖVP nicht identifiziert.

Und das ist wichtig, gerade in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen, vor allem die Jungen, von der Parteipolitik angewidert abwenden.

Mit dem 5. Stadtfest hat aber, wenn es nach den Intentionen der Veranstalter geht, eine neue Phase in der Bewußtseinsbildung begonnen. Sollten die ersten Feste „zeigen, was die Stadt alles kann", so hieß es heuer im Drehbuch: „Zeigen, was die Stadt vielleicht morgen schon können muß!"

Erhard Busek: „Das Stadtfest ist zu einem Uberlebenstraining für Wien geworden. Es geht nicht mehr darum, zu beweisen, daß man auch in der Stadt bleiben kann und nicht unbedingt fortfahren muß, um sich wohl zu fühlen - sondern wie man sich wohl fühlt, wenn man nicht mehr fortfahren kann."

Steigende Benzin- und Lebenshaltungskosten werden mit Bestimmtheit dazu führen, daß die Nachfrage nach Erholungsraum nicht mehr durch den Zweitwohnsitz am Land gestillt werden kann. Und das Beisel ums Eck' darf auf einen neuen Besucherzustrom hoffen.

Denn schon heute stellt die Verstädterung des Umlandes nicht nur ein ökonomisches, sondern vor allem auch ein ökologisches und kulturelles Problem dar.

Es nützt, auf lange Sicht gesehen, wenig, der Unwirtlichkeit der Stadt durch Flucht in die umliegenden Dörfer zu entkommen und so die Probleme nur zu verlagern. Die Städter selbst müssen zupacken in ihrer Stadt.

Und das ist die vielleicht wichtigste Botschaft eines solchen Stadtfestes.

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