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Geschichten und Fassaden

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Im Fernsehen war vor kurzem ein Filmbericht über die Geschichte der Trapp-Familie, die durch den Film „Sound of music” weltberühmt wurde, zu sehen. Während aber der ursprüngliche Leinwandfilm, der vor allem in den USA zu einem Sensationserfolg wurde und für Österreich warb, ein idyllisches und harmonisches Bild der singenden Kinderschar unter der Führung der Baronin Trapp vermittelte, versuchte der Fernsehfilm, die wahren Hintergründe dieses erfolgreichen Familienunternehmens auszuleuchten und auch die menschlichen Opfer, die diese permanente Show den Mitgliedern dieser Familie abverlangte, ins Bild zu bringen, beziehungsweise zu Wort kommen zu lassen. Die rührselige Familiengeschichte wurde entmystifiziert und auf realistische Elemente zurückgeführt.

Freilich erhebt sich in diesem Falle wie auch in anderen, ähnlich gelagerten und weniger prominenten Fällen, die Frage, ob nicht die Gefahr besteht, vom Extrem der Idealisierung in das der Dämonisierung und genüßli-chen Anschwärzung zu verfallen und damit der Wahrheit ebensowenig gerecht zu werden wie durch die vorhergehende Verklärung. Um beim konkreten Fall zu bleiben: weder das Bild, das die Baronin Trapp als aufopferungsvolle und nur auf das Wohl ihrer Kinder bedachte, engelsgleiche Person zeichnet, noch das, das sie zur egoistischen Megäre, die ihren Kindern den Weg zur Selbständigkeit verbaute, stempelt, stellt die volle Wahrheit dar. Oft ist es ein Gemisch von Erhabenem und Fragwürdigem, das die Realität des Menschlichen ausmacht.

Viele Familien sind Fassadenfamilien in dem Sinn, den der verstorbene Salzburger Psychiater Heimo Gastager und seine Frau Susanne diesem Begriff gegeben haben. Aber schließt eine für die Öffentlichkeit bestimmte Stilisierung und Fassade aus, daß sich trotz der Divergenz zwischen äußerem Erscheinungsbild und innerer Verfassung doch wertvolle Inhalte hinter der Fassade verbergen? Der Schluß, daß eine bestimmte Familie oder gar die Institution der Familie selbst bloße Fassaden und Übertünchungen darstellen, geht entschieden zu weit; trotz allem, was im Konkreten und im allgemeinen gegen die Familie als Brutstätte von Neurosen und ähnlichem mehr vorgebracht werden kann, bleibt die Tatsache unerschüttert, daß alle anderen Lebensformen noch viel anfälliger für Störungen sind und daß die Familie nach wie vor die Keimzelle des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens darstellt.

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