Unfassbarkeit des Überlebens

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Am 31. Juli wäre Primo Levi 100 Jahre alt geworden, ein italienischer Jude, dessen Name untrennbar mit dem Begriff des „Auschwitz-Überlebenden“ verbunden ist. Levi, der in Turin geboren und Chemiker wurde, kam 1944 als Mitglied einer Partisanengruppe in das Lager. Die Erfahrung der Enthumanisierung dort – der Opfer und der Täter – bildet den Kern seiner Schriften.
Von Levi stammt einer der ersten literarischen Berichte über die Schoa von 1948, der damals kaum Beachtung fand. Auch wenn die These vom Schweigen über den millionenfachen Judenmord bis zum Eichmann-Prozess Anfang der 1960er-Jahre überzeichnet ist, bleibt die Wahrnehmung vieler Überlebender, lange nicht gehört worden zu sein. Auf Deutsch erschien Levis Bericht 1961 unter dem Titel „Ist das ein Mensch?“ Erst in dieser Zeit entstand ein öffentliches Interesse an der Schoa, die für Levi bis zu seinem Tod eine schicksalsprägende Erfahrung war. Er hatte schon 1948 als einen wiederkehrenden Alptraum beschrieben: Der Häftling kommt nach der Befreiung nach Hause, berichtet von seinen Erfahrungen – und stößt auf Indifferenz.
Die Indifferenz und wohl noch mehr das Schuldgefühl des Überlebenden bildeten für Levi eine offenbar unerträgliche Mischung. Am 11. April 1987 starb er nach einem Sturz im Treppenhaus seines Hauses in Turin. Die meisten seiner Biografen gehen davon aus, Levi habe sich das Leben genommen.
Elie Wiesel, mehr noch als Levi die Stimme der „Überlebenden“, meinte: „Primo Levi starb in Auschwitz, 40 Jahre später.“ Levi litt wahrscheinlich an Depressionen. Sein Tod mahnt, gegen die in Formeln erstarrten Gedenkrhetorik die Unfassbarkeit dessen anzuerkennen, für das „Auschwitz“ eine Chiffre ist und das jeden „Überlebenden“ in einer Weise zeichnete, die sich letzten Erklärungen entzieht.

Der Autor ist Wissenschafter am Institut für Jüdische Theologie der Universität Potsdam

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