Verletzungen zeigen? Widerstand, der frei macht

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Zwei neue Bücher fordern auf, die eigenen Wunden zu offenbaren. Das schlägt Wellen.

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Zwei neue Bücher fordern auf, die eigenen Wunden zu offenbaren. Das schlägt Wellen.

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Verletzungen sind untrügliche Zeichen für Vulnerabilität. Sie offenzulegen, kann sehr schmerzlich sein. Daher ist die Aufforderung „Zeige deine Wunden“ eine Zumutung. Wer die eigenen Wunden zeigt, muss fürchten, dass andere darin herumstochern werden. Dennoch sind vor kurzem zwei Bücher aus genau dieser Aufforderung entstanden: Zeige deine Wunden. Sie schlagen Wellen im deutschsprachigen Raum, und über ihn hinaus.

„Erzählen als Widerstand“ (Aschendorff Verlag) führt die Geschichten von 23 Frauen vor Augen, die in ihrer Kirche als Erwachsene Missbrauch erfahren haben, spirituelle, sexuelle und zwischenmenschliche Gewalt. Die Geschichten sind erschütternd. Wie konnte sich solche Vulneranz bei Priestern, Ordensleuten (Männern und Frauen) und in den kirchlichen Strukturen einnisten und zur Wirkung kommen? Das zweite Buch hat nur scheinbar und nur bei flüchtigem Blick nicht mit Gewalt zu tun, weil es um Charismen geht: „Weil Gott es so will“ (Verlag Herder). Es erzählt die Berufungsgeschichte von 150 Frauen im deutschsprachigen Raum, die sich zur Priesterin oder Diakonin berufen wissen, mit ihrer Berufung aber wegen ihres Geschlechts zurückgewiesen werden. Auch hier geht es um Verletzungen und Gewalt.

Trotzdem sind beide Bücher ein Zeichen der Hoffnung. Die Frauen wurden grausam verletzt. Aber indem sie ihre Geschichten erzählen, wandelt sich ihre Verletzlichkeit in Widerstand. Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler spricht in einem solchen Fall von „the deliberate exposure to harms“, sich freiwillig einer Gefahr aussetzen. Das macht man nicht nebenbei. Das braucht einen guten Grund. Indem Frauen der prekären Aufforderung folgen, ihre Wunden zu zeigen, praktizieren sie Widerstand. Und sie zeigen: Dieser Widerstand macht nicht bitter, sondern frei.

Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg.

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