Ein Plädoyer, dem "Othering" zu widerstehen.
Sehr schnell unterteilen wir die Menschen in Wir und die Anderen. Was gehört zum Bereich des Eigenen, des Nächsten, das uns angeht, und was nicht? Das Nicht-Eigene wird dem unterworfen, was im Englischen „Othering“ genannt wird. Es macht die Fremden zu ganz Anderen, zu denen es keine innere Verbindung gibt und Intimität unmöglich erscheint. Den Nächsten, die man schätzt und liebt, die einem heilig sind, wird das gegenübergestellt, was anders ist. Das Eigene gilt als schützenswert, es wird verteidigt und mit Lebensressourcen versorgt. Das Andere jedoch nicht.
Im Gegenteil befürchtet man, dass das Andere eine Gefahr darstellt – dass die andere Religion die eigene marginalisiert; dass die andere Kultur die eigene zersetzt; dass die andere Tradition die eigene aufsaugt. Solche Ausschließungsprozesse stehen hinter der Afghanistan-Katastrophe. Ausschließungen sind Machtverfahren, die im Kopf beginnen. Die muslimischen Menschen sind irgendwie ganz anders. Eigentlich gehören sie nicht hierhin. Wir wollen sie nicht hier haben. Welche unchristliche Gnadenlosigkeit daraus wächst, zeigen die Bilder der letzten Tage aus Kabul. Allerdings wurde das „Othering“ durchbrochen von Kleinkindern, die über die Mauer hoch an Soldaten gereicht wurden, damit wenigstens sie gerettet würden. Plötzlich wird eine Verbundenheit in der menschlichen Verletzlichkeit spürbar, wenn der Soldat das Kleinkind am Arm fasst und über die Mauer hebt – in Sicherheit?
In jeder Religion, die ich kenne, gibt es Traditionen, die dem „Othering“ zu widerstehen helfen. Häufig gehören sie zur Mystik, die aus der Verbundenheit mit Gott und den Menschen lebt. Solche Traditionen interreligiös miteinander zu teilen und ihnen politisch Geltung zu verschaffen, leistet einen Beitrag zur globalen Gerechtigkeit.
Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg.
