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„Härter und ruppiger“

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Georg Lentz, Kinderbuchverleger, Journalist in der Schweiz, Verlagsleiter in Wien, und Schriftsteller, hat mit seinem ersten Roman „Muckefuck“ (FURCHE Nr. 23/1976) großen, verdienten Erfolg gehabt und ist nun schnell, vielleicht allzu schnell, mit seinem zweiten Buch „Kuckucksei“ zur Stelle. Er selbst vermerkt, der Roman sei „härter und ruppiger“, ihm aber lieber als „Muckefuck“. Die erste Feststellung stimmt zweifellos und ist keineswegs der Grund dafür, daß ich die zweite nicht teilen kann. Gewiß, die Figur des Helden Adalbert Mallersdorf, genannt Nally, ist interessant, seine existentielle Unsicherheit exemplarisch für das Lebensgefühl vieler Zeitgenossen. Weniger einleuchtend scheinen mir die Gründe, die Lentz für das Scheitern Mallersdorfs verantwortlich macht, die Zeit- und Umweltbedingungen nämlich. Sind es wirklich allein die Verhältnisse, die den Weg dieser Romanfigur bestimmen?

„Nally“, bei fremden Leuten aufgewachsen, nachdem seine Mutter sich aus gesellschaftlichen Gründen von dem unehelichen Baby trennte, leidet

unter einem Familienkomplex. Auf seiner Suche nach Verwandten bleibt er erfolglos, bis er einen Bruder seiner Mutter findet und mit dessen Hilfe seine 15jährige Halbschwester Carla. Doch auch die beiden können ihm wenig Hinweise über die familiäre Vergangenheit geben. Der Zweite Weltkrieg hat viele Spuren verwischt, oder sie werden Mallersdorf riicht preisgegeben. Das „Kuckucksei“ fühlt sich betrogen: „Ein Mensch ohne Vergangenheit: das ist wie eine Flinte, von der das Visier abgebrochen ist. Du triffst nicht ins Ziel deines Lebens...“

Erfolgreicher ist der Held als Star-Journalist von Boulevardzeitungen, für die er prominente Leute aus aller Welt interviewt in deren Intimsphäre er wühlt weil das Leserpublikum darauf fliegt und seine Beiträge ihm viel Geld einbringen. Erfreuliches Ergebnis zunächst; doch eines Tage kommt die Erkenntnis, daß er selbst immer stärker sein Leben den vonihm erzählten banalen Geschichten angleicht. Karriere, Prestige, Wohlleben werden zu seinem persönlichen Leitbild. Große Ernüchterung am Schluß. Mallersdorf schießt sich eine Kugel in den Mund; offen bleibt, ob er dabei „daraufgeht“. Lentz vermerkt in seinem Kommentar zum Buch: „Mein ^Verdacht ist, daß er wieder einmal davonkommt ...“ In dem Fall hätten wir mit einer Fortsetzung des Romans zu rechnen. Mir wäre ein neues Thema lieber.

Lentz' unmittelbare Erzählgabe, die wir in „Muckefuck“ bewunderten, erweist sich auch in dem neuen Roman. Nur ist ein bißchen zuviel in die Handlung hineingepackt; das Grundmotiv zerflattert in unzähligen Details. Bleibt mir noch die Frage an den Verlag: Warum der unnötig große Druck, der den Umfang des Buches vergrößert und natürlich auch den Preis erhöht? Das ist eine ärgerliche Unsitte, vergleichbar den Kosmetikatiegeln, die außen riesig sind und innen winzig.

KUCKUCKSEI. Roman von Georg Lentz. C. Bertelsmann-Verlag, München 1977,320 Seiten, öS 246,40.

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