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Michael Lentz' Roman "Liebeserklärung" ist eher eine Leibeserklärung. Denn es geht vor allem um das Eine.

Gleich in seinem ersten Roman macht Michael Lentz sich an das Thema der Themen und geht ihm auf den Grund. Wenn ein Sprachakrobat die Liebe erklärt, erscheint Altbekanntes in einem neuen Licht: "Dass wir keine Sprache der Liebe haben, die so ganz lieb ist, außer immer wieder die Hinwendung, das Versichern des Körpers, das Kommen und Gehen, und immer wieder sagen wir Ich liebe dich', und sind auch beschämt, nicht etwas anderes zu sagen von identischer Wucht."

Das Musterhafte der Konstellation ist Lentz wohl bewusst, es schreckt ihn aber nicht ab. Des Erzählers Geliebte lebt in Dänemark, seine Frau, von der er sich ihretwegen, aber nicht nur ihretwegen, zu trennen gedenkt, in Deutschland. So ist er viel unterwegs, und zwar mit dem Zug: So entpuppt sich das Buch nebenbei als veritables Bahnfahrerepos, die "Liebeserklärung" als "Haßerklärung" an die Deutsche Bahn: Sie ist für ihn "das endgültige Ende des deutschen Wirtschaftswunders". Die permanente Verzögerung ist flächendeckend und symbolisch: "in Mannheim kommt dann Verspätung auf, Deutschland ist zu spät". In Ost und West dieselbe Tristesse, "das Aussteigen, Einsteigen, diese Empfängnisverhütung, Grauheit, Deutschland, eine Projektion [...], ein leergefegter, ein fassadenstarker Tränenpalast". Das deprimierende "Bahndeutschland" wird zur perfekten Kulisse für eine anfangs hitzige, zusehends erkaltende, gestörte und schließlich aus dem Gleis geratende Liebesbeziehung, eine "Dreivierteljahresgeschichte", zuletzt "fast ein Totalschaden der Liebe"; "und das bist du auch," ruft das Ich sein Du zum Schluss an, "eine wund geschlagene Liebeserklärung."

Lentz' Erzählung (die "Roman" heißt) ist, in des Wortes zweifacher Bedeutung, in einem Zug zu lesen: nicht allein eine einzige, berückend rhythmische Zugfahrt, sondern auch ein Schreibfluss von simulierter Authentizität: Der Erzähler kauft sich einen neuen Kugelschreiber, ein feines Gerät, mit dem das Schreiben fast wie von selber geht: "Wenn der Caran d'Ache zu Ende ist, ist die Geschichte zu Ende". So hat die Liebe ein Ablaufdatum programmiert, einen Zugendbahnhof. Das Lieben und das Schreiben sind klassischerweise verknüpft, die Post taugt aber dafür nicht mehr, ist sie doch "Umweltzerstörung, stapelweise Formexistenzielles": "Man sollte zur Post gehen und sagen, bitte, schicken Sie mir nur noch Liebesbriefe, sollten welche da sein, [...], Rechnungen und alles Sonstige bitte in den posteigenen Recyclingcontainer."

Zuallererst ist diese Liebeserklärung freilich eine LEIBESERKLÄRUNG, ihr A und O ist der Sex. Lentz kommt dabei sehr direkt zur Sache, zugleich jedoch präzis und poetisch. Schamlos ist er auch in der Analyse männlicher (oder eigener?) Verbohrtheit, Neurose, Zerstörungswut. Er beschreibt eine entgleiste Kommunikation, die Zwei, die einander sehr nahe waren, immer weiter auseinander rückt, auf allen Ebenen, auch in der Horizontalen: "da stimmt etwas nicht, hier läuft etwas schief, spüre ich, wir sind da nicht ganz bei der Sache, wir sind bei einer falschen Sache, wir sollten das einstellen, Knoblauch, sagst du, mir liegt der Knoblauch im Magen".

Die Frustration, die sich einstellt, "wenn der Kugelschreiber besser fließt als unsere Säfte fließen", gilt nur einem Symptom. Der Karren an sich ist verfahren, und der Erzähler ("Beziehungskiste ist ein Kofferdasein"), will sich nicht mehr plagen, will längst auf und davon: "ich habe das Kofferpacken zur Kunst erklärt". Ein "Trennungskünstler" ist er deshalb aber noch lange nicht.

Nebenbei verhandelt Michael Lentz den Status quo in Deutschland, den fortschreitenden Sozialabbau, die Entwertung eines reichen Landes, "diese ganze Billigkultur": "Billigessen, Billigmagen, Bürger, gebt dem Staat euer Geld, dann könnt ihr noch billiger essen, die deutsche Lösung der Zukunft heißt billig sterben'".

Der Anspielung auf Thomas Bernhards "Die Billigesser" hätte es nicht bedurft, um den Leser auf die Fährte des Meisters zu bringen. Gleichwohl hat Lentz aus der Bernhardesken Tirade eine eigene Form gemacht, eine verschwenderisch einfallsreiche, höchst intensive Polyphonie des Gegenwärtigen. In sie stimmen auch die anderen literarischen Schutzpatrone ein, die Lentz hier anruft, vom Lautpoeten Valeri Scherstjanoi bis zu Sergej Jessenin, von Celan bis Kleist. Der "alte Däne" wiederum kann nur Sören Kierkegaard sein, der als Constantin Constantius sein Buch über die Wiederholung verfasst hat, das in Angelegenheiten des Verkehrs - bei der Eisenbahn wie in der Liebe - einiges hergibt; die rollenden Sprachangriffe ahmen ja nicht nur das Rattern und Schienenstoßen nach, sondern auch jene andere mechanische Bewegung, die im Zentrum der Geschichte steht. "Liebeserklärung" ist ein gewalttätiges, ein invasives Buch, sozusagen die härtere Version zu Ingeborg Bachmanns "Erklär mir Liebe": "du lachst und weinst und gehst an dir zugrund, / was soll dir noch geschehen".

Liebeserklärung

Roman von Michael Lentz

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2003

190 Seiten, geb., e 17,40

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