Psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch: Bereits ein Drittel aller Invaliditätspensionen geht hierzulande auf ihre Rechnung, wie „pro mente Austria“ aktuell vermeldet. Aber auch metaphorisch sind sie kaum mehr einzubremsen. Zuletzt hat Ariadne von Schirach den sensiblen Bereich der seelischen Krankheit für ihre Gesellschaftskritik ausgeschlachtet. „Die psychotische Gesellschaft“ heißt ihr jüngstes Buch, das heuer bei Klett-Cotta erschienen ist. Die deutsche Philosophin diagnostiziert darin eine „immer verrückter werdende Gegenwart“, bedingt durch die fortschreitende Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die „tief in das Unsichtbare hineinreicht“. Andere Autoren jedoch haben vor ihr bereits ganz andere Diagnosen gestellt: eine „narzisstische Gesellschaft“ (Hans-Joachim Maaz), eine „süchtige Gesellschaft“ (Anne Wilson Schaef) oder eine „Borderline-Gesellschaft“ (Jerold Kreisman). Heinz Bude spricht von einer „Gesellschaft der Angst“, Byung-Chul Han deklariert die „Müdigkeitsgesellschaft“, nicht weit entfernt von der „Burnout-Gesellschaft“. Psychiater würden verzweifeln: Was ist hier die primäre Störung, was sind die Begleiterkrankungen?