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Keine Zeit zum Essen, keine Zeit füreinander

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Sind Sie auch schon in der U-Bahn gesessen und vis-ä-vis machte sich eine Person breit, sei sie nun männlich oder weiblich, meistens aber jüngeren Alters und verzehrte genüßlich eine Semmel mit heißem Leberkäse gefüllt oder eine dick belegte Pizza-Schnitte?

Der Geruch versetzt Sie fälschlicherweise in ein Restaurant, und Ihr Körper beginnt zu rebellieren. Sämtliche Säfte in Mund und Magen kommen in Bewegung. Egal, ob die Speise zu Ihren bevorzugten gehört oder Ihre Ablehnung erhält, Ihr Befinden verschlechtert sich zusehends. Besonders arg wird es, wenn Sie den ganzen Tag zu keinem ordentlichen Essen gekommen sind und Ihnen der Magen, wie man sagt, vor Hunger heraushängt.

Aber auch in den Stationen stehen sie, manchmal sogar gruppenweise und stopfen ihr Fast food hinein. Es scheint ihnen zu schmecken, neben den stinkenden Abfallkörben, auf den schmutzigen Perrons, gegen Vorbeihastende stoßend. Die Genußsucht hat um sich gegriffen, möchte man meinen. Doch hat dieses „In-sich-hinein-Stopfen" etwas mit Genuß zu tun? Ich würde es eher mit einer Ersatzbefriedigung für nicht erhaltene Zuwendung gleichsetzen. Es ist ja auch kein Wunder: Einen Hamburger oder eine Tüte Pommes frites bekommt man ohne Schwierigkeiten an jeder Ecke. Aber echte Zuwendung?

Ein sorgfältig bereitetes Mahl im Kreise der Familie oder mit Freunden eingenommen, wo gibt es das heute noch? Keiner nimmt sich Zeit zum Essen, geschweige denn füreinander. Alles muß schnell gehen. Wer denkt daran, daß das „Essen" ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur war und auch heute sein sollte, daß das gemeinsame in Muße genossene Mahl die Möglichkeit bietet, sich nach dem Befinden des anderen zu erkundigen, über dies oder jenes zu sprechen und damit in hohem Maße zur Kommunikation beiträgt?

In der Arbeitswelt erkennt man diese Aspekte sehr wohl und setzt sie auch ein. Jedoch in der Familie?

Ich möchte den berufstätigen Müttern kein schlechtes Gewissen aufbürden, denn sie haben es mit ihrer Doppel- und Dreifachbelastung schon schwer genug. Doch vielleicht könnte man einem gemeinsamen Abendessen mit einem ausführlichen Gespräch wieder mehr Platz einräumen in unserer an Zeit mangelnden Zeit.

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