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Klare Worte tun not

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Der Berliner Bischof Kurt Scharf empörte sieh vor wenigen Tagen öffentlich über die Unterstellung, zwischen Verantwortlichen seiner Kirche und Anarchisten gebe es auch nur die geringsten Beziehungen — über rein seelsorgerliche Kontakte hinaus. Dieser Empörung konnte er in einer langen Leserzuschrift an die „Welt“, die einige Wochen zuvor in einer Glosse die geistige Nähe kirchlicher Mitarbeiter zu Anarchisten behauptet hatte, Ausdruck verleihen. Jetzt hat der Bremer Bürgermeister, Hans Koschnick, Scharf der Solidarität seiner Partei, der SPD, versichert. In seinem Kampf gegen die ;,geistigen Verführer“ und „hysterischen Skribenten“ müsse der Bischof fortfahren.

So weit der Tatbestand. Zugegeben: die Glosse, die in der „Welt“ am 8. Juli, einen Tag nach dem gemütlichen Abschied von vier weiblichen Terroristen aus dem Berliner Gefängnis Moabit, erschien, war nicht eben sanft. Sie entsprach aber doch wohl der mittleren Bewußtseinslage des deutschen Normalbürgers — eben dessen, der noch nicht „verführt“ worden war: verführt zur Verharmlosung täglicher Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, zur laufenden Abwertung der Bundesrepublik zum faschistoiden, klerikalen oder repressiven Staat und schließlich auch verführt zum „Verständnis“ der Motive von Gewalttätern.

Eben um dieses „Verständnis“ hat

sich aber die Gruppe von Theologen seit Jahren, bald Jahrzehnten, bemüht, die nicht so sehr mit dem Namen Scharf, sondern jenem Gollwitzers und seiner bundesweiten Anhängerschaft gekennzeichnet wird. Seit den Zeiten von Heinemanns Gesamtdeutscher Volkspartei existiert hier ein harter Kern von militanten Kirchenmännern, denen jeder Anlaß recht wäre, die Bundesrepublik herabzusetzen und ihren inneren und äußeren Feinden vollstes Verständnis entgegenzubringen. Von da bis zu einer geistigen Komplizenschaft mit den Anarchisten ist kein weiter Weg. In einem Fall gab es deswegen sogar einen Prozeß, der Freispruch für die kirchliche Mitarbeiterin ließ dennoch keinen Zweifel daran, daß die seelsorgerliche Betreuung der Häftlinge zu weiter gehenden Diensten, zumindest seitens der Anarchisten, gern und willig ausgenützt wird.

Der Vorwurf der „Verführung“ trifft die falschen. Wo ist das Hirtenwort einer evangelischen Kirche gegen Gewalt und Terror, wo der Entschluß einer Kirchenleitung, dem Rechtsstaat und nicht nur seinen Feinden seelsorgerlich und kämpferisch beizustehen? Sind alle Erfahrungen des Kirchenkampfes vergessen worden, als man auf einsamen Posten allein gegen die Verführung der Gewalt antrat?

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