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Digital In Arbeit

Kultur, nichts als Kultur

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Man müßte mehr in Konzerte, in Theater, in Galerien! Wie oft hab' ich mir das schon vorgenommen. Aber wie es halt so ist, keine Zeit. Die Arbeit ist einem immer wichtiger als die ganze Kultur. Darum hab' ich sie jetzt auf den Nagel gehängt, die Arbeit, der Kultur zuliebe, - nur der Kultur zuliebe. Jetzt hab' ich Zeit, viel Zeit, und ich nütze sie für die Kultur.

Morgens nach dem Frühstück geht's los. Da mach' ich via Tageszeitung meinen Tagesgeneralkulturplan. Alles was nach Kultur riecht, streich' ich mir an und Übertrag' es in meinen Kulturterminkalender.

So zwischen zehn und elf geh' ich dann los.

Zuerst einmal zwei drei Galerien. Die haben meist schon am späten Vormittag offen. Bis zum Mittagessen geht sich das gerade noch aus.

In einem Kulturcafe nehm' ich dann eine kleine Stärkung zu mir. Es hilft alles nichts, der Mensch lebt halt nicht nur von der Kultur allein. Na und nach einem kleinen Nickerchen geht's dann weiter.

Zwei, drei weitere Galerien am frühen Nachmittag. Falls das Galerienangebot erschöpft ist tun's auch ein paar Bibliotheken, zur Not geht auch eine Buchhandlung.

Wenn gar nichts mehr geht, dann such' ich mir ein paar Videotheater aus meiner Sammlung und geb' mir den Prinz von Homburg, die Hermannsschlacht oder Das Mädl aus der Vorstadt, - je nach Gusto.

Bis zum frühen Abend bin ich da meistens durch. So, und jetzt geht's erst richtig los. 18 Uhr Vernissage, 18.30 Uhr Vernissage. 19 Uhr Vernissage und 19.30 Uhr Vernissage. Dabei deck' ich so nebenbei meinen bisher gezähmten Heißhunger. Ein paar Brötchen fallen immer ab bei so einer Vernissage. Und trocken hab' ich auch noch nie eine Vernissage gewechselt.

Um zwanzig Uhr steh' ich dann regelmäßig vor der Qual der Wahl. Soll ich in's Theater? Soll ich in's Konzert? Soll ich in's Kabarett? Soll ich zu einer Lesung? Die Auswahl ist ja unverschämt groß. Meistens ist es aber so, daß ich irgendwo bei so einer Vernissage hängen bleib'. Irgendwelche Bekannte trifft man immer, - es sindjaohnehin immer dieselben Leute auf so einer Vernissage. Na und da kommt man in's Plaudern. Und schnell ist dann bei ein paarGläschen Grünen Veltliner so ein Abend pfutsch. Und man hat ganz vergessen, daß man eigentlich noch in's Theater, in's Konzert, zum Kabarett oder zu einer Lesung wollte.

Aber alles geht halt nicht, morgen ist ja wieder ein Kulturtag. Vielleicht erwisch' ich da einmal was anderes als eine Vernissage. Nur schade, im Theaterbuffett gibt's nichts gratis, das ist ein kultureller Nachteil. Da lob' ich mir halt so eine Vernissage, die lassen sich dort nicht lumpen, auch wenn ich oft die Bilder vor lauter Leuten nicht seh'.

Aber Brötchen gibt's da manchmal, wirklich Spitze.

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