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Vernissage

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Es gibt ein relativ neues Fremdwort, das ausnahmsweise nicht angelsächsisch, sondern französisch ist. Und schon wegen dieses Seltenheitswerts müssen wir es hegen und pflegen: Vernissage.

Ich kannte es längst, denn im Französischen ist es nicht nur gang, sondern auch gäbe. Bei uns ist es, wie gesagt, eher neu.

Das Wort hat - man merkt es ihm an — mit dem Begriff „Firnis" zu tun, was sowohl „Anstrich" als „Anstreichmittel" bedeuten kann und außerhalb der malend-an-streichenden Fachwelt nicht mehr sehr häufig verwendet wird.

Der einzige Anstrich, der bei unseren Vernissagen auftritt, ist ein Anstrich von Snobismus.

Wie hat man das eigentlich früher genannt, als das junge Wort noch nicht unsere Grenzen überschritten hatte? Ich glaube: Ausstellungseröffnung. Das hat gestimmt, hat aber nicht viel hergegeben.

Ich bin leider, bedingt durch meinen Schreibtisch, selten bei Vernissagen anwesend gewesen. Aber dann wurde ich eher häufig gebeten, die einleitende Laudatio (auch so ein junges Wort!) zu sprechen. Das tat ich mit Vergnügen, wenn auch nicht ohne Aufregung, wenn ich über den Ausstellenden halbwegs etwas zu sagen wußte.

Und jedesmal, wenn ich also notwendigerweise Bestandteil einer Vernissage gewesen bin, habe ich gedacht: Ich hab' gar nicht gewußt, daß es bei uns so viele Leute gibt, die sich für bildende Kunst interessieren.

Als aber meine Vernissage-Er-fahrungen überhandnahmen, mußte ich diesen Eindruck korrigieren. Die Leute, die dort sind, interessieren sich ja gar nicht für bildende Kunst. Sie interessieren sich für Vernissagen. Das ist zweierlei.

Man müßte einmal versuchen, zu der Vernissage einer Picasso-Ausstellung einzuladen und an die Wände nur Bilder von Klee verteilen. Ob das viele merken täten? Ich fürchte: nein.

Das Wesen der Vernissage ist das Gedränge. Das Ornament der Vernissage ist: daß Getränke gereicht werden, manchmal auch Brötchen, sogenannte Canapes. Aber diese sind so spärlich, daß sie den Zulauf nicht erklären können. Ferner muß eine Rede geredet werden. Und zwar positiv über den Ausstellenden.

Diese Worte sind dadurch beeinträchtigt, daß der Redner nicht recht weiß, wo er stehen soll. Außerdem ist im Augenblick, da die Rede stattfinden soll, der allgemeine Gesprächslärm schon derart angeschwollen, daß man nicht recht weiß, wie man sich Gehör verschaffen soll.

Der Galeriebesitzer (die Galeriebesitzerin) befindet sich im Augenblick meist in der entgegengesetzten Ecke. Sie (er) winkt ihm, aber er ist kurzsichtig und merkt es nicht, er (sie) entschließt sich dann meist zu einer Aktion, die eigentlich an den Schluß einer Rede gehörte: in die Hände klatschen.

Sollte daraufhin der Pegel sinken, begrüßt er (sie) und erteilt das Wort. Dann findet die Laudatio statt. Dann versucht der Geredethabende, den ausstellenden Künstler'(die ausstellende Künstlerin) in die Arme zu schließen, es kann auch beim Händeschütteln bleiben.

Und dann redet der Künstler (die Künstlerin) und dankt nach allen Seiten. Spätestens in diesem Stadium, oft auch schon während der Laudatio, ist der Lärm wieder stark angeschwollen.

Die Gäste trudeln und treiben durch das Gewoge. Ihre dominierende Aktion ist es, einander zu begrüßen und zu fragen, wie es geht. Das dauert sehr lange, denn immer andere werden im Wirbeln und Strudeln der Menge zueinander hin und voneinander weg geschoben.

Man hört auch immer wieder die Feststellung, daß es sehr heiß sei. Diese wiederholte Äußerung ist die einzige, welche immerhin einen losen Zusammenhang mit der Veranstaltung hat. Sonst gelten die Gespräche allgemeinen Themen, dem Wetter, der Politik, sonstigen aktuellen Ereignissen.

Gern macht man einander auch auf Anwesende aufmerksam oder fragt nach der Identität jener Anwesenden, von denen man nicht weiß, wer sie sind, die aber so aussehen, als ob sie wer wären.

Ein wesentliches Problem ist es, Mantel und Hut loszuwerden, wenn man eher spät die Galerie betreten hat; dieses Problem wird eher von jenem verdunkelt, das sich ergibt, wenn man die Galerie vorzeitig verlassen willy

Ich habe einmal als Laudator eine Galerie betreten und war sehr glücklich, als die Galeriebesitzerin mir Mantel und Aktentasche abnahm und zu versorgen versprach. Da ich für den späteren Abend verabredet war, suchte ich meiner Besitztümer zeitgerecht wieder Habhaft zu werden, das heißt: ich suchte zu diesem Behuf zunächst die Besitzerin. Ich fand sie nicht. Man wies mich in eine Kammer, dort befanden sich zwar Mäntel, aber nicht der meine. Ich suchte weiter und fand, einsam in eine Ecke gelehnt, meine Aktentasche. Viel, viel später erst fand ich die Besitzerin. Noch einige Zeit später fand sie meinen Mantel.

Im Zuge meiner Irrgänge geschah es mir, daß ich plötzlich, um auszuweichen, mit dem Gesicht zur Wand gekehrt war und ein Gemälde zu sehen bekam. Dieses beeindruckte mich. Ich konnte jedoch infolge der ständig wogenden Bewegung nicht vor ihm verharren. Ich konnte auch an diesem Abend nie wieder so zu stehen kommen, daß ich weiterer Gemälde ansichtig wurde.

Da nahm ich mir vor, an einem der folgenden Tage wiederzukommen und die Bilder in aller Ruhe zu betrachten.

Ihnen ist's wahrscheinlich genauso ergangen, stimmt's?

Und haben Sie je an einem der folgenden Tage eine Ausstellung wieder besucht, um die Bilder in aller Ruhe zu betrachten?

Ich nicht.

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