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Mit dem Staberl gestikulierend

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Nietzsche sagte einmal — und hielt sich selbst zuweilen an diese Empfehlung —, daß man mit dem Hammer philosophieren müsse, damit die Leute ja merken, worauf es einem ankommt. In unseren Tagen tut dies Oswald Wiener, der Schlimme, von dem der Vorschlag stammt, den Österreicher gleich nach der Geburt zu pensionieren mit der Auflage, jeden interessierten Fremden bei sich zu Hause einzulassen, damit er sehen kann, wie früher einmal gelebt wurde. „Osterreich als Altersheim“, so meint Michael Springer, Jahrgang 1944, einer der Literaturproduzenten, sei das Leitbild und der Geheimtip von „Staberl“, dem Kolumnisten der auflagengrößten österreichischen Tageszeitung. Es mag für den Leser interessant sein zu sehen, wie die junge milchtrinkende Erfolgsgeneration — die Pensionisten von Ubermorgen — mit einem Vertreter der mittleren Erfolgsgeneration — den Pensionsberechtigten von morgen — umspringt.

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Nietzsche sagte einmal — und hielt sich selbst zuweilen an diese Empfehlung —, daß man mit dem Hammer philosophieren müsse, damit die Leute ja merken, worauf es einem ankommt. In unseren Tagen tut dies Oswald Wiener, der Schlimme, von dem der Vorschlag stammt, den Österreicher gleich nach der Geburt zu pensionieren mit der Auflage, jeden interessierten Fremden bei sich zu Hause einzulassen, damit er sehen kann, wie früher einmal gelebt wurde. „Osterreich als Altersheim“, so meint Michael Springer, Jahrgang 1944, einer der Literaturproduzenten, sei das Leitbild und der Geheimtip von „Staberl“, dem Kolumnisten der auflagengrößten österreichischen Tageszeitung. Es mag für den Leser interessant sein zu sehen, wie die junge milchtrinkende Erfolgsgeneration — die Pensionisten von Ubermorgen — mit einem Vertreter der mittleren Erfolgsgeneration — den Pensionsberechtigten von morgen — umspringt.

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Wenn man die österreichische Arbeitswelt einmal überspitzt als ein großes Altersheim sehen möchte, so erfüllt darin Staberl die Funktion jenes rüstigen Greises, der es wagt, bei der Ausspeisung gegen das schlechte Essen zu protestieren; die Insassen klopfen begeistert ans Geschirr; die Anstaltsleitung findet begütigende Worte: bei der derzeitigen Budgetlage sei das Essen luxurös.

Alles bleibt beim alten — nur: Staberl ist jetzt der Liebling der Insassen des Altersheimes, geachtet und gefürchtet von der Leitung.

Staberl hat in den stagnierenden Stil der Zeitungsschreiber endlich eine neue Note gebracht; als ein echtes Genie hat er das Nächstliegende aufgegriffen, nämlich das „Politisieren“ auf Parkbänken und in Wirtshäusern, und sich daraus eine Trade-mark geformt. Der Ton, den er für gewöhnlich anschlägt und erfolgreich dem „seriösen Kommentar“ und dem Greinen über den Verlust der „Menschlichkeit“ im modernen Alltag entgegensetzt, ist der Mißton der Rage, einer übers' Ziel hinausschießenden und an ihm vorbeischießenden Wut, die im schlauen Wissen um ihre eigene Ohnmacht oh,ie Risiko maßlos sein darf. Auf den Anfall folgt Beifall, dann Ermattung. Die Aggression ist abgeführt, keiner hat sich wehgetan.

Die zwei oder drei Spalten künstlicher Empörung, in die Staberl sich steigert, bringen kein positives Ergebnis. Die Undurchskhtigkeit der Machenschaften von „denen da oben“ für „uns da unten“ wird immerfort an komischen Einzelfällen aufgezeigt (etwa: Ankauf eines elektrisch verstellbaren Pults für das Rathaus um ganze neunzigtausend Schilling), aber nie folgt aus der Demonstration, daß die „oben“ machen können, was sie wollen, die klare Nutzanwendung: die Forderung nach Einsicht der Bürger in alle Geschäfte, nach Mitbestimmung, nach direkter Demokratie.

Immer wenn es um Geld geht, ist die Tourenzahl von Staberls Rage am höchsten. Das entspricht genau der Tatsache, daß sich die Lebensangst des Pensionisten in Geiz umzusetzen pflegt. Jedesmal, wenn ruchbar wird, daß die Ausschütter der „Pensionen“, die Bosse und Politiker, Verschwendung treiben mit „unserem“ Geld oder, ohne „uns“ zu fragen, willkürlich mit der Pension knausern, erhebt Staberl ein Geschrei. Da er jedoch immer dafür sorgt, daß ihm vor Wut rot oder schwarz vor den Augen wird, geht er nie das Risiko ein, mit klarem Kopf die allgemeinen Ursachen und Folgerungen aus solchen „Sauereien“' deutlich zu machen, damit sie eventuell nicht mehr vorkommen. So bleibt alles wie es war, und Staberl kann sicher sein, bald wieder Gelegenheit zu einem populären Tobsuchtsanfall zu bekommen.

In einem Monat zum Beispiel verteilte sich Staberls Rage auf folgende Themen: Innenpolitisches: 70 Prozent; Außenpolitik: 0 Prozent;Sonstiges: 30 Prozent (darunter fallen zornige oder besinnliche Betrachtungen zur Luftverschmutzung, zum Herzinfarkt, zur Tierfeindlich-keit der Jäger, zum müden Sommerschlußverkauf). Von den innenpolitischen Glossen wiederum befassen sich 80 Prozent mit Geldfragen; davon geht die Hälfte auf Verschwen-dungen bei denen „oben“, die andere Hälfte entfällt auf die Geißelung von obrigkeitlicher Gelderpressung und finanziell nachteiligen Willkürakten gegen den „kleinen Mann“.

Bei einem Fall letzterer Art, auf dem Staberl besonders „eifervoll“ (ein Lieblingswort) herumritt, ging es um die sogenannte Seniorenermäßigung bei den österreichischen Bundesbahnen: Seit neuestem sollen Pensionisten, die so eine Ermäßigung erwerben wollten, eine einmalige Zahlung von 50 bis 200 Schilling leisten. Staberl bekam eine irre Wut: „Frechheit... Unverfrorenheit ... Schildbürgerstreich... Ausgeburt kranker Gehirne... Ein bedürftiges Pensionistenehepaar soll also 100 oder 400 Schilling hinlegen!... Unerhörter Schritt ... kapitaler Bock ... freche Forderung... Gedankenlosigkeit... Zynismus... Frotzelei... Aussackelung der Pensionisten ...“

Der Verkehrsminister antwortete mit einem Brief: Er lud Staberl zu einem aufklärenden Gespräch ein, bei dem dieser auch seinen Wunsch wahrmachen könne, dem Minister Protestbriefe um die Ohren zu schlagen. Staberl veröffentlichte den Brief und beantwortete ihn (23. August): „Werter Herr Minister, hochverehrte Exzellenz,... Ich bedanke mich mit der dem gewöhnlichen Bürger im Verkehr mit derart hochgestellten Instanzen so wohl anstehenden Submission für die von Ihnen geäußerte Bereitschaft, Ihre Zeit an ein Gespräch... zu verschwenden.“ Dann lehnt Staberl das Gespräch ab und wiederholt lieber bezüglich der Ermäßigung: „...bodenlose Frechheit... Unverfrorenheit sondergleichen... unsozial in höchstem Ausmaß...“

Nachdem er dreimal „Sehr geehrter Herr Minister“ eingestreut hat, erklärt Staberl sodann bezüglich des Um-die-Ohren-Schlagens der Protestbriefe, was „ein sogenannter Konditionalsatz“ ist: „Ich habe in der Möglichkeitsform geschrieben ... Ich bin, sehr geehrter Herr Minister, bisher ein unbescholtener Bürger. Ich werde mir, halten zu Gnaden, wegen Ihnen nicht meine unbefleckte Strafkarte verpatzen! Es handelte sich somit bei den Briefen, die ich sehr gern um Ihre werten Ministerohren schlagen würde, um eine bildhafte, nicht wirklich substanziell gemeinte Floskel oder, wie der Fachmann sagt, um eine Facon de parier. — Genehmigen Sie, hochverehrter Herr Minister, den Ausdrude meiner ganz vorzüglichen Hochachtung. Und so weiter. Doch muß auch das leider nur eine bloße Höflichkeitsfloskel bleiben, solange Eure Exzellenz so eisern an dem Vorhaben festhalten, ausgerechnet die österreichischen Rentner und Pensionisten zugunsten der ÖBB so hinterfotzig aussackeln zu wollen. In diesem Sinn bin ich Ihr Staberl.“

Das ist interessant: Im entscheidenden Moment hat Staberl unter lautem Kläffen den Rückzug angetreten. Hier hat die undurchlässige Membran zwischen „Unten“ und „Oben“ für Staberl auf einmal ein Loch bekommen: er sollte der „Exzellenz“ persönlich die Meinung sagen. Aber so wie Hunde aufhören zu bellen und davonrennen, wenn der trennende Zaun zu Ende ist, um erst in sicherer Entfernung wieder zu kläffen anzufangen, so ist Staberl weggelaufen; bellende Hunde beißen nicht.

Denn Staberls Weltbild, eben das pensionistische, braucht Zäune zwischen oben und unten, gegen die er sich gefahrlos in Rage werfen kann. Gäb's diese Zäune nicht, müßte er mit dem Minister von gleich zu gleich reden und vernünftige Vorschläge machen. Mancher wäre neugierig, was für eine Figur Staberl dabei machte: „Wieso sind Sie Trottel nicht selber schon Minister geworden, wenn Sie alles besser wissen?“ fragte einmal ein Leser. Nein, nein, das wäre Anmaßung: Staberl läßt keinen Zweifel, daß ein Minister eine andere Sorte Mensch ist als er, mit riesiger Macht und höherer Bildung: daher das giftige Einstreuen von Bildungsbrocken, das gehässige Aufwärtskläffen.

Er hält sich lieber hübsch unten auf, in der Höhe der obrigkeitlichen Waden: In der Glosse „Der Saubär“, worin er sich aus unersichtlichen Gründen über die Errichtung eines modernen Schweinestalles in Vösen-dorf ereifert, läßt er keinen Zweifel, als welches Tier er bei der nächsten Inkarnation unter uns zu weilen gedenkt: „Der Saubär Rex, der ob seiner Bissigkeit einen Hundenamen nehmen mußte, hätte ich aber... nicht sein dürfen. Denn sonst hätte glattwegs und mit Uberzeugung dem (sie) Herrn Stadtrat ins Wadel gebissen Ihr Staberl.“

Das Schwein hat in Staberls Weltbild überhaupt eine zentrale Stellung: „Generäle hätten wir jetzt gewissermaßen zum Schweinefüttern“

„Heute brüsten wir uns mit Mozart. Doch damals haben wir uns dem Mann gegenüber ärger benommen als die Säue, registriert Ihr Staberl“ usw. usf.

Das Schwein, immer unten im Dreck, den es in Rage geraten um sich schleudert, da- Schwein als Wa-delbeißer... Sollen die oben nur unter sich bleiben; wir armen Schweine da unten nehmen den Sauhirten nicht auch noch ihre Verantwortung ab; wozu werden sie denn bezahlt? Aber wehe, wenn es nicht Pensionen gibt zum Schweinefüttern: dann beißen wir die Exzellenzen ins Wadel. Staberl hält zu uns, der läßt sich nicht von einem Minister verführen und auf die andere Seite ziehen: Er bleibt bei uns Pensionisten und spielt den Saubären, daß die oben sich richtig fürchten.

Aus „Modelle zur Kritik der Massenmedien“ mit Beiträgen von Holzinger, Springer und Zeller (alle Jahrgang 1944), herausgegeben vom „Arbeitskreis österreichischer Literaturproduzenten“ im Verlag für Jugend und Volk.

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