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Müllschlucker und Riesenbaby

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Als durchaus beachtlich erweist sich das Stück des 47jährigen Linzers Franz Josef Heinrich: „Die Nacht der Müllschlucker”, das im „Experiment am Lichtenwerd” zu sehen ist. Da wird ein szenisches Symbol geboten, das zugleich zeitlos und eminent zeitnah wirkt.

In ein völlig verfallenes Haus, das von Müll umgeben ist, kommt die Tochter des Besitzers, eines Archäologen, mit ihrem Mann, um den Vater zu beerben. Es ist nichts zu finden, alles ist zerschlagen, zerschlissen, kaputt. Ihr Bruder lebt da mit einer jungen Kommunardin, berechnet mit wissenschaftlicher Besessenheit und Akribie den Zerfall alles Bestehenden, des Menschen, de? Hauses, der Umwelt, der Welt. Das Haus ist schließlich von Müll völlig umschlossen, unter dem Müll wird es zusammenbrechen und die Eingesehlossenen ersticken.

Alles zerfällt einmal, wird sozusagen Müll. Das ist das physische Schicksal alles Lebenden, alles Geschaffenen. Aber in unserer technischen Gegenwart steigert der Mensch diesen Vorgang noch gefährlich, wir sind überall im übertragenen, im wörtlichen Sinn von Müll bedroht. Und die Menschen, sagt das Stück, sind Müll wie dieses von materieller Gier, von Besitzgier getriebene Ehepaar, das vom Beerben der Verwandten lebt, wie dieser Intellektuelle, der das Zerstörende, das in unserer Rationalität steckt, signifi- ziert. Die drohenden Gefahren verdrängen im Autor eine doch auch noch bestehende freundlichere Realität.

Stimmige Aufführung des Vierpersonenstücks unter der Regie von F. F. M. Sauer mit Charlotte Appelt als die nach Erbschaft Gierende, mit Sauer selbst als ihr cholerischer Mann, mit Erwin Bail, von dem auch das Verfall kündende Bühnenbild stammt, als ständig rechnender „Müllologe” und Inge Träger als nette Kommunardin.

Gerade beim Selbstverständlichen beginnen die großen Rätsel, beginnt das letztlich Unbeantwortbare. Das hat sich wohl der 41jährige ehemalige französische Monteur, Lackierer, Fallschirmjäger und nunmehrige Schauspieler Victor Lanoux gedacht, als er die skurrile Komödie „Die blaue Gefahr oder Vorsicht Autobus” schrieb, die derzeit im Theater der Courage äufgeführt wird.

Er läßt da ein blaues Baby zur Welt kommen, das 33 Jahre im Mutterleib lag und entsprechend groß ist. Dieses Baby weiß ebensowenig wie andere Babys, denkt aber konsequenter. So stellt es Fragen an Onkel, Tante, einen Arzt: Was ist heute, was morgen? Was ist Zeit? Was ist hier, was anderswo? Das Baby verschränkt in babyhaft übersteigerter Klugheit die Antworten, Onkel und Tante werden verwirrt, setzen sich mit seinen Reaktionen auseinander. Insgesamt gibt es ein spielerisches Jonglieren mit diesen Vorstellungen, das letztlich unbefriedigend bleibt. Zu mehr reicht es nicht.

Da das nicht abendfüllend ist und auch nicht attraktiv genug, stecken sich, medizinisch nicht stimmend, Onkel und Tante mit der Blausucht an - große blaue Flecken im Gesicht! - und werden vom Arzt zur Quarantäne in der Gehschule mit dem Baby eingeschlossen. Bülige Späße ergeben sich zum Vergnügen des Publikums. Unter der Regie von Heiko Rail ist Reinhard Reiner das dummsig-kluge Baby, Mimi Klinger die vorsorgliche Tante, Walter Scheuer ein sich rauh militärisch gehabender Onkel, Michael Gert der sachliche Arzt.

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