Was geschah mit Claas Relotius?
Es war eine der peinlichsten Affären des Journalismus – und des Spiegel: Im Dezember 2018 musste das Nachrichtenmagazin einräumen, dass dessen Starreporter Claas Relotius Inhalte seiner Reportagen gefaked hatte, einige davon waren überhaupt frei erfunden. Relotius hatte höchste Journalistenpreise eingeheimst – und weder die Jurys derselben noch die Kontrollmechanismen beim Spiegel hatten das bemerkt. Die Affäre befeuerte alle, die von den Medien sowieso nur als von der „Lügenpresse“ sprachen. Wobei schon klar ist, letztlich haben die Medien selber den unfassbaren Missbrauch durch Relotius aufgedeckt – und auch bereinigt. Die Peinlichkeit blieb trotzdem.
Was aber ist mit Relotius geschehen? Und hat er sich erklärt? Kann er das überhaupt? Das renommierte Schweizer Magazin Reportagen, eine erste Adresse für diese journalistische Darstellungsform, das auch mehrere Fake-Reportagen von Relotius veröffentlicht hat, ist dessen weiterem Schicksal nachgegangen und hat nun ein langes Interview mit Relotius veröffentlicht. Relotius, der nach dem Auffliegen der Affäre längere Zeit in psychiatrischer Behandlung war, schildert darin, wie er in einer Art Realitätsverlust und auf jeden Fall ob einer psychischen Störung zu seinen Taten fähig war. Auch die Interviewer sind sich nicht sicher, ob diese Erklärungen für bare Münze zu nehmen sind – und sie haben dazu Relotius‘ Psychiater konsultiert. Aber es ist wichtig und verdienstvoll, dass in ausführlicher Weise versucht wird, Relotius eine Stimme zu geben, die alle in der Branche zum Denken bringt. Zumindest das ist mit dem Reportagen-Interview gelungen. Auch wenn einem der Mund offenbleibt, wenn Relotius bekennt, dass keine einzige seiner Reportagen ohne Erfindungen oder dramaturgische Abrundungen, die so nicht passiert sind, oder auch Verdrehungen, erschienen sind ...