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Mysterium

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In der Sprache des alltäglichen kirchlichen Gebrauchs ist ein Mysterium etwas, das wir Menschen nicht verstehen — ein unergründliches Geheimnis also, von dem wir lieber die Finger lassen sollten. Gern bemüht wird dieses Wort, wenn von der Dreifaltigkeit die Rede ist oder vom Verständnis der Eucharistie. So wird auch gern hinzugefügt, wir würden ja auch deshalb den Einsetzungsbericht (Wandlung) mit den Worten kommentieren: ,Mysterium fidei" — Geheimnis des Glaubens.

Hinter all dem steht ein altes Mißverständnis. Denn das Wort kommt vom griechischen „myein“ - verschließen — und bezeichnete ursprünglich eine innere, eine nicht-sinnliche Erfahrung: Das, was sich uns erschließt, wenn wir Augen, Ohren und die übrigen Sinne verschließen, also unsere „mystische“ Erfahrungswelt, das wurde Mysterium genannt. Ebenso das Unsinnliche hinter dem Sinnlichen — die hinter dem Wahrnehmbaren -verborgene - -nieht- wahmehmbare Wesenheit. Auch die ursprüngliche' Bedeutung des Wortes Symbol“ kommt dem Mysterium nahe.

In alten Texten wurde „Mysterium“ oft mit dem lateinischen Ausdruck ,jacra- mentum“ wiedergegeben. Erst später beschränkte man das lateinische Wort auf die sieben Sakramente. Und so ist auch der Ausruf des Priesters nach der Wandlung zu verstehen. ,Mysterium des Glaubens!“ heißt dann etwas wortreicher ausgelegt: Schaut nicht nur auf das Sichtbare, denn der Glaube kann tiefer sehen. Selig, die nicht sehen und doch glauben! Und damit ist nicht das Lob auf einen Menschen gesprochen, der unbesehen geheimnisvolle Dinge glaubt, sondern auf einen, der sich über das Wahrnehmbare hinaus dem dahinter Verborgenen öffnet.

So gesehen ist einer, der das Mysterium annimmt, kein Leichtgläubiger, der sich dem Nachdenken und der Kritik verweigert, sondern ganz im Gegenteil ein ,Neugieriger“, der sich mit dem Wahrnehmbaren nicht zufriedengibt, der sich mit der sogenannten Realität nicht abspeisen läßt. Ein Gläubiger begegnet dem Mysterium in der Gewißheit, daß „das Irdische ein Gleichnis“ sein kann für Wesentliches.

Wer das verstanden hat, wird das Wort ,Mysterium“ nie wieder verwenden, um ein neugieriges Kind oder einen kritisch fragenden Menschen abzuweisen. Trotz der letzten Unbegreiflichkeit Gottes ist das Mysterium nicht etwas, das uns Gott verbirgt und entzieht, sondern auf eine tiefere als die bloß rationale Weise Gott erschließen will.

29. Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche.

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