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Neurose-Religion?

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„Religionsverlust durch religiöse Erziehung“ — sich der im Buchtitel enthaltenen Provokation zu stellen, kann nicht die Wertung des Buches vorwegnehmen. Die beiden Autoren, Erwin Ringel und sein Mitarbeiter Alfred Kirchmayr, wollen „tiefenpsychologische Ursachen und Folgerungen“ eines solchen Religionsverlustes untersuchen. Der Zugang zu einer neurotisch nicht entstellten Religiosität soll erleichtert, eine echte Reform der katholischen Kirche erreicht werden.

Die Autoren beschreiben, den Einfluß der Neurose auf die Religion, das Verhältnis von Christentum und menschlicher Entfaltung. Die Einsichten in die neurotisierenden Tendenzen von Erziehung, keineswegs nur der religiösen, sind wertvoll, ihnen wird jedoch ein gänzlich einseitiges Bild der Kirche als Machtapparat, als unbewegliche, zentrali-stisch gelenkte Institution gegenübergestellt.

Am stärksten provozieren Kapitel über die „Gottesvergiftung“ durch religiöse, neurotisie-rende Erziehung, über die Sexualität und über das Verhältnis des Christentums zu Krieg und Frieden. Die Überlegungen zum 1., 4., 5. und 7. Gebot enthalten allzuvie-le Banalitäten, jene zur Sexualität bleiben an der Oberfläche.

„Tiefenpsychologische Erwägungen zum Religionsunterricht“ und „Konsequenzen für die Erneuerung des kirchlichen Lebens“ schließen unter anderem mit der Forderung ab, jeder Religionslehrer möge sich einer Psychoanalyse unterziehen, bei der wohl zu fragen ist, ob dies wirklich ein Allheilmittel gegen Auswüchse im Religionsunterricht sein könne. Daß die Psychologiefeindlichkeit von kirchlichen Institutionen bedenklich und korrekturbedürftig ist, sollte wie manche andere Anregungen der beiden Autoren aufgegriffen werden. Berechtigte Kritik an manchen Thesen und unbegründeten Behauptungen dieses Buches sollte jedenfalls nicht dazu führen, das Thema überhaupt beiseite zu schieben.

RELIGIONSVERLUST DURCH RELIGIÖSE ERZIEHUNG. Von Erwin Ringel und Alfred Kirchmayr. Herder-Verlag, Wien-Freiburg-Basel 1985. 241 Seiten, kart., öS 248,-.

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