6980275-1986_08_10.jpg
Digital In Arbeit

Nur ein didaktisches Pausenzeichen ?

19451960198020002020

Im Schulfernsehen sitzt der Wurm drinnen. In der Schule kaum genutzt, hat es nur dann eine Überlebenschance, wenn es aus den eingefahrenen Gleisen ausbricht.

19451960198020002020

Im Schulfernsehen sitzt der Wurm drinnen. In der Schule kaum genutzt, hat es nur dann eine Überlebenschance, wenn es aus den eingefahrenen Gleisen ausbricht.

Werbung
Werbung
Werbung

Gottseidank, es ist doch noch nicht begraben. Das Schulfernsehen in Österreich. Der televisio-näre Nekrolog in der FURCHE Nr. 36/1985 erregte Widerspruch. Es meldeten sich freilich nicht die Gesamtveräntwortlichen und die Programmgewaltigen vom Kü- , niglberg. Dort hatte man den schulfernsehfreundlichen Hintersinn des vorgezogenen Nachrufes offensichtlich wohl verstanden. Man hüllte sich vorsichtshalber in Schweigen.

Mißverstanden fühlten sich hingegen Schulfernsehfreunde in tieferen ORF-Etagen und am Minoritenplatz. Dort sitzen die Vorkämpfer der Bildungsmedien aus den siebziger Jahren und bil-

den eine eher verzweifelte denn verschworene Nachhut. Und die protestierten: Das Schulfernsehen sei in Österreich keineswegs tot. Regelmäßig würde gesendet, jeweils eine halbe Stunde am Vormittag während der Schulzeit, und eine Neuproduktion hätte es jüngst auch gegeben.

So ist es. Das Schulfernsehen ist nicht klinisch tot, aber lebt es wirklich? Werden die Prodükti-onsmöglichkeiten genutzt, werden die Produktionen eingesetzt? Gewährsleute im Unterrichtsministerium berichten, daß der ORF ermittelt hätte, die Schulfernsehnutzung zeige eine „Tendenz zum Zunehmen“. Mehr war nicht zu erfahren. Es wird Zeit, daß der ORF die Zahlen, so sie vorliegen, auf den Tisch legt. Sonst muß der distanzierte Beobachter bei seiner Meinung bleiben, daß es das Schulfernsehen zwar faktisch (noch), aber praktisch nicht (mehr) gibt.

Die Morbidität des Schulfernsehens ist freilich keine österreichische Spezialität. Auch die mächtigen SchulfernSehabteilun-gen im Nachbarland Deutschland kränkeln. Dabei fehlt es nicht an Mitteln und Programm-Titeln. Es wird fleißig und recht ansprechend produziert, wohl auch ausgestrahlt, aber kaum gesehen und viel zu wenig eingesetzt. Dabei fehlt es auch nicht an Begleitmaterial: Es gibt Lehrer hefte, Schülerbücher, Arbeitstexte — und es gibt sogar eigene Periodika wie die Zeitschrift „Praxis Schulfernsehen“. Die hält sich allerdings mit erheblicher Unterstützung des Senders so eben über Wasser.

Weil dieser Zustand weder die

Macher noch die Zahler befriedigt, hat man sich schon vor Jahren auf die Suche nach den Gründen begeben. Man hat sich dabei der Hilfe von Medienforschern bedient. Aber auch die haben nichts anderes feststellen können, als daß das Schulfernsehen, von vielen Experten durchaus gelobt, von den Schulpraktikern schließlich doch nicht geliebt wird.

Zuletzt haben Wissenschaftler aus Regensburg den Unterricht in der Oberpfalz beobachtet. Sie stellten klägliche zwölf Einsätze des Schulfernsehens fest - pro Jahr und — pro Schule (!). Ein Glück, daß das die Mehrzahl der Fernsehgebührenzahler nicht weiß.

Was ist schuld am Pausenzeichendasein des Schulfernsehens? Sind die Programme nicht ganz didaktisch aufbereitet, nicht ausreichend schulpraktisch? Sind sie schlecht gemacht, stören sie eher den Unterricht als sie dem Lehrer helfen?

Die Untersuchungen scheinen das Gegenteil zu beweisen. Die befragten Lehrer loben inhaltliche Konzeption und methodische Machart zumeist; kein Wunder: In der Regel sind ja Lehrer entscheidend an der Konzeption und Produktion von Schulfernsehsendungen beteiligt.

Liegt es an der Organisation, an der Geräteausstattung? Lehrer, die sich für mangelnde Nutzung von Schulfernsehangeboten entschuldigen, nennen häufig: Die Ausstrahlungszeiten lassen sich nicht mit dem Stundenplan abstimmen. Videoaufzeichnungsgeräte wären nicht oder nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Es wäre unzumutbar, aus dem Klassenraum in einen „Videoraum“ umzusiedeln.

Es ist schwer, zwischen berechtigten Störmeldungen und begründeten Ausreden zu unterscheiden. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen.

Wahr ist allerdings auch, daß

ein ganz gewichtiger Umstand gegen den intensiven Einsatz von Schulfernsehen spricht. Der Medienprofessor Tulodziecki aus Paderborn hat's schon vor Jahr und Tag herausgefunden und auch veröffentlicht: „Selbst wenn Schulfernsehsendungen als nahezu perfekte Lehrsysteme erscheinen, bleibt für den Lehrer noch viel zu tun.“

Für viele Lehrer bleibt offensichtlich allzuviel zu tun, und: Unterricht kann man ja schließlich auch ohne Fernsehen machen. Neuerdings gibt es allerlei grüne Gründe, die diese didaktische Binsenweisheit untermauern.

Auch wenn es den Schulfernsehförderern am Minoritenplatz und den Verantwortlichen auf dem Küniglberg nicht paßt: Schulfernsehen, so wie es heute gemacht und gesendet wird, hat keine rechte Chance in der Schule.

Die Schulfernsehgegner in der ORF-Intendanz sollten allerdings nicht zu früh frohlocken: Der Untergang des Schulfernsehens wäre eine schlimme Sache.

Möglicherweise müßte sich auch das Schulfernsehen ändern. Da gibt es durchaus einige Vorstellungen und Vorschläge: Schulfernsehen muß sich selbst zum Inhalt machen und somit zur vielfach geforderten aktiven Medienerziehung beitragen. Das heißt, daß auch Schüler und Lehrer in der Schule ihr eigenes Schulfernsehen machen sollen. Auf der anderen Seite sind die Angebote des staatlichen Schulfernsehens zu ergänzenden „Fernsehschulen“ auszuweiten, wie das dem Telekolleg in der Bundesrepublik Deutschland geglückt ist.

Schließlich muß Schulfernsehen den Weg in das „allgemeine“ Fernsehangebot suchen. Es muß dann genau den Standards entsprechen, die für das andere In-formations- und für das Unterhaltungsfernsehen gelten: Die besten Autoren, Regisseure, Darsteller sind für das Schulfernsehen auf dem Weg zu neuem Nutzen gerade gut genug.

Schulfernsehen wird überleben, wenn es zum integrierten, zum „Neuen Bildungsfernsehen“ wird, wenn gar nicht sonderlich auffällt, daß es etwas mit Schule zu tun hat. Schulfernsehen kann nur als „Neues Bildungsfernsehen“ überleben. Das sollte es. Unbedingt.

Der Autor ist Medienexperte im Bildungsbereich, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fern-Universität in Hagen, Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin und der Wirtschaftsuniversität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung