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Kein Pauker ist im Bild

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Das Schulfernsehen ist so gut wie tot. Als schwacher Trost bleibt, daß die negativen Folgen der Massenmedien im Unterricht niemand zu fürchten braucht. Aber ist das gut so?

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Das Schulfernsehen ist so gut wie tot. Als schwacher Trost bleibt, daß die negativen Folgen der Massenmedien im Unterricht niemand zu fürchten braucht. Aber ist das gut so?

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Schulfernsehen? Gibt's das eigentlich, gibt's das noch, hat es das je gegeben? Schulfunk! Ja, wissen die Haufrauen, den gibt es täglich, schultäglich, aber Schulfernsehen?

In den großen und teuren Fernsehanstalten im deutschen SprachVaum, allen voran im personalgewaltigen Westdeutschen

Rundfunk, wird fleißig Schulfernsehen produziert und auch regelmäßig ausgestrahlt. Derzeit haben die Sendeanstalten der ARD zwischen Nordsee und Bodensee die Neuen Informationstechniken entdeckt, den Computer zumal.

Die Schulfernsehmacher in Köln haben eben einen Sechsteiler „Bit und Byte: Wir bauen einen Computer“ abgedreht. Ende August begann die Ausstrahlung. Ob die Reihe in den Schulen, die dann auch eben erst begonnen haben werden, auch gesehen wird, weiß man nicht.

Beim ersten Mal klappt beim Schulfernsehen die Lehreiinfor-mation nicht. Deshalb wird' auch regelmäßig wiederholt. Von der WDR-Computer-Reihe soll es sechs Wiederholungen geben. Man muß auch im Schulfernsehen Sehgewohnheiten aufbauen, sonst strahlt man die teuren Produktionen ins Leere. Der Erfolg des Schulfernsehens hat einen hohen Preis.

Aber man kann Erfolg haben. Das beweist unter anderem das „Telekolleg“, eine leibhaftige Fernseh-Schule, an der man nicht nur lernen, sondern auch Prüfungen machen und Abschlüsse erreichen kann. Von Baden-Baden und Bayern ging es aus, und nach offensichtlichen Erfolgen und eifrigen Verhandlungen hat man auch den Norden und den Nordwesten bekehrt.

Einige Tausend Schulabbre-cher und Bildungsnachholer haben im Telekolleg die „Fachoberschulreife“ und sogar die „Fachhochschulreife“ erreicht. Die berechtigt zum Späteinstieg in den „Tertiären Bereich“. Uber integrierte Studiengänge, zum Beispiel an Gesamthochschulen, geht es bis in die klassischen Universitäten.

Schulfernsehen hat es in der Bundesrepublik immerhin bis zur öffentlich anerkannten und privat genutzten Fernseh-Schule gebracht. Und in Österreich?

In Österreich gab es eine ganze Reihe von Vorstellungen und Vorschlägen. Und es gab auch Posten und Personen, die sich um Schulfernsehen kümmern sollten. Aber all das ist verkümmert. Den Fernsehfunktionär, der Schulfernsehprogramme produzieren sollte, den gibt es wohl noch, das Schulfernsehen gibt es in Österreich freilich nicht mehr. Zu Recht? Prüfen wir Einwände.

Der wichtigste Einwand gegen das Schulfernsehen trifft die Schule. Die Lehrer, so sagt man, nutzen die Angebote nicht. Das ist allerdings ein Argument, das nicht bloß Schulfernsehen, die logische Verlängerung des Schulfunks ins Optische, trifft.

Professor Hellenthal, Physiker und Mediennutzer aus Münster, hat gezählt und festgestellt, daß in der Bundesrepublik Deutschland jährlich fünf Millionen Unterrichtsstunden stattfinden, in denen „bewegte Bilder“ vorgeführt werden. Da sind dann auch die

Produktionen des Schulfernsehens darunter.

Fünfmülionenmal pädagogische Videos, das ist eine stolze Zahl, die Schulfernsehen allemal rechtfertigen könnte. Leider ist die absolute Zahl relativ irreführend. Es werden nämlich in den 35.000 deutschen Schulen jährlich mehr als eine halbe Milliarde Stunden erteilt. Die Film-Nutzung erreicht somit nur recht bescheidene ein bis zwei Prozent.

Immerhin: Negative Konsequenzen der Massenmedien braucht in Schule und Unterricht niemand zu befürchten.

Fernsehen, sei es durch Produktionen der öffentlichen Fernsehanstalten, durch Angebote von Medienverlagen oder mittels selbstgebastelter Videoclips, spielt in der Schule heute noch keine Rolle. Damit steht der Schulunterricht in krassem Gegensatz zum Alltag, zur Freizeit.

Gibt es möglicherweise unauflösliche Gegensätze zwischen „Arbeiten in der Schule“ und „Leben im Alltag“? Soll es solche geben? Medienpädagogen sind da unsicher: Sie beklagen einerseits zu viel Fernsehen in der Freizeit und fordern gleichzeitig mehr Fernseh-Erziehung und damit auch Fernsehen in der Schule. Geht diese ohne Schulfernsehen?

Als das Schulfernsehen begann, herrschten Neugier und Hoffnung vor. Das war vor etwa 15 Jahren. Da ließ man sich noch von der Industrie Schulfernsehgeräte schenken, und die Fernsehanstalten richteten eigene Abteilungen ein. Die machten sich auf die Suche nach Autoren und begannen zu produzieren. Als Autoren suchte und fand man Schulpraktiker, und so blieb es nicht aus, daß Schulfernsehproduktionen eine, gelegentlich peinliche, Ähnlichkeit mit traditionellem Schulunterricht aufwiesen.

Die Folgen: Schüler langweilten sich nunmehr medial statt live, die Lehrer hatten einen zweiten Lehrer neben sich in der Klasse stehen. Die massenhafte Verbreitung des Schulfernsehens blieb aus.

Weil die Produktionen für das Schulfernsehen aber nicht wesentlich weniger kosteten als andere, machte man sich auf die Suche nach den Ursachen. Da man Medienwissenschaftler damit beauftragte, fand man nicht die praktischen Ursachen. Man vermutete vielmehr eine Resistenz bei Pädagogen, die keine ausreichende mediendidaktische Ausbildung erhalten hatten.

Flugs wurden einige Professuren, Hochschulinstitute und Bildungsforschungseinrichtungen eingerichtet. Dem Schulfernsehen konnte das nicht helfen.

Was dem Schulfernsehen helfen kann, sind Pädagogen mit Ideen und Fernsehleute mit Erfahrung. Denn auch Schulfernsehen ist Fernsehen. Die Seher aber haben bestimmte Standards entwickelt, die sie bei der Beurteilung all dessen, was über den Schirm flimmert, anlegen.

Das bedeutet: Schulfernsehen muß bestes Fernsehen sein. Es muß von Leuten gemacht werden, die sich im Unterricht und im Medium bewährt haben und nicht von solchen, die aus der Schule flüchten wollen oder die innerhalb der Fernsehanstalt aufs Nebengleis geschoben werden.

Fernsehgewaltige, die mit branchenüblichem Selbstbewußtsein ihr Programm insgesamt als Bildungseinrichtung begreifen, werden für Schulfernsehen wenig übrig haben. Für sie gilt: Alle Informationen, selbst die Desinformation, „bilden“. So einfach kann man es sich machen.

Aber: Wenn man schon in der Lage ist, solche durchschlagende Büdungswirkung zu erzielen, wie heute noch das Fernsehen, dann sollte man sich auch um die Einrichtungen kümmern, in denen pflichtgemäß und verpflichtend täglich belehrt und gelernt wird, in denen gebüdet wird — oder verbildet. Das öffentliche Fernsehen sollte seinen Bildungsauftrag nicht bloß vollmundig behaupten, sondern auch an der Bildungsbasis erfüllen.

Das ist freilich nicht so spektakulär wie weltweite Rockspektakel und kostet dennoch Geld und Schweiß. Wen wundert's, daß es Schulfernsehen in Industriestaaten kaum noch gibt. In Österreich gar nicht.

Der Autor ist Medienexperte im Bildungsbereich, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fern-Universität in Hagen, Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin und der Wirtschaftsuniversität Wien.

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