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Der Uralt-Kapitalismus

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In den Vororten unserer Großstädte erkennen wir noch heute die Stadtviertel, in denen die Proletarier der Jahrhundertwende mit ihren Familien gehaust haben: In Zimmer und Küche, Wasser und Klosett draußen auf dem Gang. Zwölf- oder vierzehnstündige Arbeitszeiten waren damals bei einem Hungerlohn üblich, soziale Absicherungen gegen Kündigungen, Krankheiten und Unfälle gab es in vielen Fällen nicht.

Erst in den Jahren nach 1945, als die demokratischen Länder in einem Existenzkampf auf Tod und Leben gegen den militanten Kommunismus hineingerieten, konnte der Kapitalismus wirksam gezähmt werden.

Die soziale Marktwirtschaft mit einem fjreit gefächerten Netz beispielgebender sozialer Absicherungen entstand.

Es mag sein, daß dabei manchmal des Guten zu viel geschehen ist. Aber man erkannte jedenfalls, daß mit einem brutalen und ungezähmten Kapitalismus der Kampf gegen den Kommunismus nicht zu gewinnen war.

Mittlerweile ist das kommunistische System kollabiert. Und nun plötzlich wird der ungehemmte Kapitalismus wieder lebendig. Die begrenzte Arbeitszeit, die man aus guten Gründen einführte und die zur wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität beitrug, will man jetzt wieder Stück für Stück beseitigen.

Soziale Absicherungen zum Nutzen der Arbeitnehmer sollen zit-zerlweise aufgehoben, arbeitsfreie Tage gestrichen, kollektivvertragliche Vereinbarungen außer Kraft gesetzt werden.

Offenbar denkt man in so manchen Kommandozentralen der sogenannten freien Wirtschaft: Die kommunistischen Gegner sind verschwunden, jetzt kann man die Methoden des alten, ungezähmten Kapitalismus wieder ungestraft hervorkramen.

Was ist das für eine kurzsichtige Überlegung! Denn niemand ist neugierig, ein abgetakeltes kapitalistisches System mit allen seinen Schattenseiten neu heraufzubeschwören. Es soll vielmehr ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Effizienz mit einem Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit verbunden bleiben. Das allein ist die Grundlage unserer Freiheit.

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