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Protest gegen Protest

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„Diese Serie könnte zu einem Markstein in der Geschichte des Fernsehens in Österreich werden.“ Dieser prophetische Satz steht in der Absichtserklärung der Abteilung „Fernsehspiel“ und betrifft die „Alpensaga“, eine Fernsehserie in sechs Teilen von Peter Turrini und Wilhelm Pevny. Ein Markstein ist die „Alpensaga“ insofern bereits geworden, als sich provoziert meinende Hörer und Seher wehren. Im konkreten Fall: als die Bauern, deren Schicksal bei der „Saga“ geschildert werden soll, die Autoren und deren bisher vorgelegte Drehbücher unter

die Lupe nahmen, als sie dann noch in der „Arbeiter-Zeitung“ lesen mußten, daß der bekannte Kommunenchef Otto Mühl die Rolle eines Priesters spielen soll, protestierten sie heftig und laut. Therese Kraus, Chefredakteurin des „österreichischen Bauernbündlers“ und von den Sozialisten gern als „Chefideologin des Bauernbundes“ apostrophiert, schrieb einen Artikel unter dem Titel „Das darf nicht wahr sein“, der binnen kurzem zu lebhafter Diskussion über Wert und Unwert der „Alpensaga“ führte; oberösterreichische Bauern versuchten, die ORF-Leute

am Abkurbeln ihrer „Alpensaga“-Filme zu hindern. In einer Pressekonferenz verteidigten die Autoren Peter Turrini und Wilhelm Pevny ihre Fümserie, wobei sie manch Widersprüchliches behaupteten.

So legten die Autoren ein Gutachten von Universitätsprofessor Jed-licka vor, in dem bescheinigt wird, daß er die „Alpensaga“ für historisch einwandfrei halte. Was nicht gesagt wurde: das Gutachten stammte aus dem Jahre 1973, und was Jedlicka gesehen hatte, war längst nicht das Drehbuch, nach dem heute gearbeitet wird. Bei der Pressekonferenz versuchten die Autoren auch den Bauernvorwurf, sie seien Kommunisten und als solche nicht geeignet, das freie Bauerntum in Österreich zu verstehen, herunterzuspielen, indem sie meinten (Pevny), daß sie, „wenn man unter Kommunismus die gemeinsamen Einrichtungen zur Verbesserung der Produktion, zur Ausschaltung des nichtbäuerlichen Zwischenhandels und der nichtbäuerlichen Konzerne, die wie Maden an den Bauern hängen, verstehe“, kommunistisch seien. (Allerdings entschlüpfte Pevny ein Satz, der sich frontal gegen die wesentlichste Säule des freien Bauernstandes, nämlich gegen das Genossenschaftswesen richtet: „Versteht man die Ursprünge der Genossenschaftsbildungen und der Raiffeisenkassenbildungen und nicht deren Pervertierungen darunter ...“

Genau um so eine Genossenschaftsgründung geht es im ersten Teil der „Alpensaga“, die unter dem außergewöhnlich originellen und an Löwinger gemahnenden Titel „Liebe im Dorf“ schildert, wie die von einem Großbauern — Helmut Qualtinger spielt ihn — ausgebeuteten Kleinbauern zu ihrem Schutz eine Genossenschaft gründen wollen. Die historischen Tatsachen.sehen ireilich anders aus: Wohl stimmt es, daß die Bauern sich zu Genossenschaften zusammentaten, allerdings nicht zum Schutz vor Großbauern, sondern, um sich gegen Großhändler und Geldwucherer, die aus der Stadt kamen, besser verteidigen zu können. (Aus dieser Zeit her stammt auch der immer noch gelegentlich aufflak-kernde Antisemitismus der Bauern.)

In der erwähnten Pressekonferenz beklagten sich die Autoren darüber, daß der Bauernbund gegen etwas wettere, das er gar nicht kenne, und vergaßen dabei ganz, daß es seit längerem auf dem Markt ein Büchlein zu kaufen gibt, das den Titel „Der Dorfschullehrer“ trägt und als dessen Autoren Peter Turrini und Wil-

heim Pevny zeichnen. Im Untertitel heißt es „Eine Folge der TV-Reihe Alpensaga“. (Einige Zitate daraus mögen, zusammen mit Auszügen aus dem vom ORF vorgelegten „endgültigen“ Drehbuch, nebenstehend im Kasten, nachgelesen werden.)

Immerhin erreichte die Pressekonferenz, daß die Dreharbeiten in Oberösterreich fortgesetzt werden konnten. „Inzwischen glätteten sich die Wogen der Erregung“ meldete die „Kronen-Zeitung“.

Das allerdings war ein Irrtum. Der „österreichische Bauernbündler“ wird mit zustimmenden Briefen bombardiert, der oberösterreichische Bauernbundchef Landesrat Diwold überlegt, ob er nicht seine Bauern dazu aufrufen sollte, ihr Fernsehgerät abzumelden, und ein Vertreter der Landwirtschaftskammern in der Hörer- und Sehervertretung des ORF, Klaus Wejwoda, hat bei einer Sitzung die „Alpensaga“ zur Sprache gebracht. Denn nach der Lektüre des Drehbuches scheint es ihm fraglich, daß die Absichtserklärung der Abteilung Fernsehspiel auch nur annähernd erfüllt werden kann. „Durch diese Serie“, heißt es dort, „sollen die Zusammenhänge klar aufgezeigt, ein großes Publikum in dessen Familiengeschichte angesprochen, diese innerhalb der Gesamtentwicklung für eben dieses Publikum verständlich gemacht werden...“

Mittlerweile protestierte auch der PEN-Klub und Autorenverbände, die in der „Einmischung“ des Bauernbundes eine Art „Zensur“ gegen die Serie erblicken.

Tatsache ist, daß bis jetzt offenbar kein autorisiertes letztes Drehbuch vorliegt, das einwandfrei klären kann, welche Tendenz die „Alpensaga“ wirklich hat. Im Interesse der Öffentlichkeit wäre aber dieser Schritt sinnvoll — wollen sich die Autoren nicht weiteren Verdächtigungen aussetzen.

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