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Sprachverlust

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Uber den Begriff ,Jnfor-mationsgesellschaft” kann der Computerspezialist Joseph Weizenbaum nur sarkastisch lächeln. Weizenbaum ist seit fast 25 Jahren beim Massachusetts Institute of Technology (MIT) Professor für Informatik. Seit rund zehn Jahren ist Weizenbaum ein rhetorisch brillanter Kritiker der Computerwissenschaften und alles dessen, was er Imperialismus der Abstraktion” nennt. Das Fernsehen zählt er dazu.

Weizenbaum ist zum Beispiel überzeugt, daß bei einer Befragung acht von zehn Amerikanern auf einer Landkarte kaum angeben könnten, wo sich der Iran befinde. Nachdem .Jrangate” wochenlang per Fernsehen die amerikanische Innenpolitik dominiert hatte.

Bei einem Vortrag in Graz erzählte er, daß von den tausend MIT-Studenten, die jährlich aufgenommen würden, rund 800 unfähig seien, einen sprachlich einwandfreien Aufsatz über ein selbstgewähltes Thema zu schreiben.

Sprachverlust heißt das Schlagwort. Und woher kommt er?

,J3ilder, Empfindungen, Eindrücke zählen — nicht Wörter.” Das sagt zum Beispiel Robert Pittmann, Präsident des amerikanischen MTV-Kanals, der sich auf Musik-Videos spezialisiert hat. 24 Stunden am Tag Kombinationen von Rock-Musik und Bildern, nicht länger als zwei bis vier Minuten pro Film. Und die Hälfte aller Zwölftes 34jährigen genießt jede Woche MTV.

Vor 20 Jahren gab es zum Beispiel in New York City vier TV-Stationen, und die Konsumenten akzeptierten 60-Sekunden-Werbesendun-gen.

Heute gibt es in New York 37 Fernseh-Kanäle, und die Zuschauer sind rastloser geworden. 15-Sekunden-Wer-bespots werden immer üblicher. Die Aufmerksamkeit ist geringer geworden, die Bereitschaft zur Ablenkung größer.

Jdood and Motion” ist entscheidend: Stimmung und Bewegung. In die Lieblingssendungen der 18- bis 25jährigen muß alle zwei bis drei Minuten eine neue Ac-tion-Szene eingebaut sein.

Eine politische Konsequenz dieser Entwicklung ist zum Beispiel, daß es in dem 18minütigen Wahlwerbefilm über Ronald Reagan, der für den Konvent der Republikaner im Jahr 1984 gedreht wurde, keinen Kommentator mehr gab.

Das Wort ist offensichtlich zu sehr an die Reflexion gekoppelt.

Und wer an denkende Wähler denkt, ist hinter der Zeit zurück.

Irgendwann werden wir die Amerikaner schon noch einholen.

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