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Südstaatenkolportage

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Viele seiner bevorzugten Themen, den Untergang des alten Südens, den nur eine neue, brutale Gesellschaft zu überleben vermag, dekadentes Lebensgefühl im Gegensatz zu skrupellosem Realismus, Bruderkonflikt, Rassenspannung, Mutterbindung, Homoerotik, brutale Sinnlichkeit, all das hat Tennessee Williams auch in sein 1968 (mit wenig Erfolg) am Broadway uraufgeführtes Stück „Kingdom of Earth” (Königreich auf Erden”) verpackt, das „Vienna’s English Theatre” zur zweiten Premiere der mit Shaws „Candida” so erfolgreich begonnenen Saison erkoren hat.

An seine großen Arbeiten vermochte Williams damit allerdings nicht anzuschließen. Die Geschichte von den Halbbrüdern (Schauplatz: eine von der Überschwemmung bedrohte, verlotterte Farm im Mississippi-Delta), der eine ein kraftstrotzender Mischling, der andere ein mädchenhafter Schwindsüchtiger, der Myrtle, die gutherzige, naive Stripteasetänzerin nur geheiratet hat, um dem verhaßten Bruder das Erbe vorzuenthalten, ist allzu kolportagehaft. Es kommt, wie es kommen muß: ehe der Vorhang fällt, hat der Mischling die kaum getraute Ehefrau in der Küche verführt, während im Salon, in einer Robe seiner verstorbenen Mutter, der Kranke sein letztes bißchen Leben aushustet. Vor der drohenden Flut flüchtet das Halbblut, gefolgt von Myrtle. Schlamm darüber.

Die Aufführung dieser unerfreulichen Geschichte, die „Vienna’s English Theatre” bietet, kann sich aber durchaus sehen lassen. Wieder ist es Franz Schafranek gelungen, einen Star an Land zu ziehen, diesmal die vom Stones-Groupie zur „besten Schauspielerin des Jahres” (London 1974) aufgestiegene Marianne Faithfull, als Myrtle zwąr eine Fehlbesetzung, aber eine besonders reizende. Williams hat sich für diese Figur eine schon etwas dickliche, vor allem aber abgetakelte Stripperin vorgestellt, eine von den Männern Erniedrigte, eine Außenseiterin der Gesellschaft. Die Myrtle der Faithfull hingegen ist ein zauberhaftes Geschöpf, jung, attraktiv, eine, die im „Showbiz” sehr wohl noch eine Karriere vor sich hätte. So verschieben sich die Gewichte, die ganze Konstellation stimmt nicht mehr. Merkwürdig auch, daß die Szenen mit dem kranken Let, wenn sie ihn streichelt und ihr „Baby” nennt, viel besser und berührender gelingen als die mit Chicken, dem Sexualprotz: hier fehlt jegliche erotische Spannung. Dabei steht mit dem farbigen Jeffery Kissoon ein Prachtstück von Chicken auf der Bühne, der nicht nur über die hier nötige Ausstrahlung, sondern auch über eine hervorragende Sprechkultur verfügt (immerhin war er im abgelaufenen Jahr Provost und Caliban bei der Royal Shakespeare Companie); David Charkham bot als Let eine geradezu beängstigende pathologische Studie, ein Perserkater namens Pussy spielt einen Kater, der in den Keller geworfen wird, mit der abgeklärten Ruhe einer großen (Katzen)-Persön- lichkeit.

Das ausgezeichnete Bühnenbild stammte von Ingeborg, der es gelang, Salon, Schlafzimmer und Küche simultan in den winzigen Bühnen- ausschhitt zu bauen und ringsherum noch die Flußlandschaft anzudeuten, Regie führte unauffällig (und vielleicht etwas zu undifferenziert) Peter Coe.

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