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Trinkgeldphantasie

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Der Hausmeister, der „alte Steffel“ und das Trinkgeld sind bekanntlich Wahrzeichen Wiens, aere perennius.

Der Hausmeister, in Paris: „concierge“, in Gegenden, die noch mit Wotan Gefühlsbeziehungen haben: „Hauswart“ genannt, sperrt in Wien um zehn Uhr abends das Tor der ihm anvertrauten Ubikation und läßt von da ab bis um sechs Uhr morgens die Bewohner des Hauses nur gegen sogenanntes „Sperrgeld“ ein. Ist die Torglocke ruiniert oder der Hausmeister allzufest in Banden des Schlafes, so muß der Hausbewohner auf der Straße übernachten.

Gegen diese Unbequemlichkeit des ortsüblichen Lebens haben sich neuerungssüchtige Wiener nun aufgelehnt und fordern Zuteilung eines Hausschlüssels an jede Mietspartei.

Solche umstürzlerische Gesinnung hat aber wenig Aussicht, sich durchzusetzen. Krieg und Revolution, die ja die österreichischen Verhältnisse in manchen Nuancen verändert haben, konnten die Position des Wiener Hausmeisters nicht erschüttern. An seinen „Schlapfen“ — so heißen die Nachtpantoffeln des Wiener Hausmeisters —, flutete die Brandung des Weltgeschehens gebrochen zurück.

Solche die Ereignisse durchtrotzende Stärke einer Menschenkategorie muß wohl ihre historische Begründung haben.

Es geht auch die Sage, daß ein paar Troglodyten in den Höhlen des Kahlenbergs, als der Strom der Völkerwanderung verheerend über Mitteleuropa sich wälzte, erst auf längeres Pochen von Attilas Scharen aus den Höhlen krochen — und Sperrgeld forderten. Die Grauslichkeit ihrer Erscheinung, die Grobheit ihres Wesens und die Unverschämtheit ihrer Forderung soll die Hunnen veranlaßt haben, lieber einen Umweg um Wien zu machen. Ob-zwar hiedurch der „Fremdenverkehr“ — an dessen Hebung der Stadt Wien schon vor ihrer Gründung viel gelegen war — einigen Abbruch erlitt, schien doch das Verdienst jener Höhlenbewohner um die Sicherheit der Stadt groß. Dankbare Herrschergeschlechter verliehen ihnen und ihren Nachkommen infolgedessen ein Sperrgeld-Privileg, das bis auf den heutigen Tag in Geltung ist.

Sollte der Sturm der Hausschlüssel-Forderer es hinwegfegen, so schwände damit aus dem Gesicht der Stadt einer der letzten Eigenheitszüge, die es noch vor dem Schicksal bewahrt haben, eine Allerwelts-Physiognomie aufzuweisen. Das Verschwinden der Burgmusik war freilich ein noch härterer Abstrich an unserem Spezialitätenbesitz. Wir haben ihn bis heute nicht verschmerzt. Beim Durchschreiten des Burgtors öffnet sich im Wiener Herzen ein Loch, durch das, kalt und hart, der Wind der Trübsal pfeift.

Wie gesagt, es blieben nach der Ausmerzung des Sperrgeldes nur noch zwei kleine Wahrzeichen: der alte Steffel und das Trinkgeld.

Um jenen braucht uns nicht bange zu sein. Er steht, gottlob, über jeder Situation. Aber um das Trinkgeld haben die, die von den Lebensgewohnheiten der Stadt wissen, allen Grund zu zittern.

Man will es abschaffen. Die Straßenbahnkondukteure haben den Anfang gemacht. Kellner und Friseurgehilfen dürften folgen. Was für Zeiten dräuen herauf? Zeiten, da des Amtsdieners Miene beim bemünzten Händedruck sich nicht erhellen, sondern verfinstern, da der Einspännerkutscher den Fahrgast wegen Taxüberschreitung beflegeln wird?!

Es ist nicht auszudenken. Wien ohne Trinkgeld — eine starke Zumutung an die Phantasie.

Dieser Stadt Symbol war (und ist noch): die offene Hand. Der leichte Sinn im Geben, der noch leichtere im Nehmen.

Das ganze öffentliche Leben hierorts ist durchsponnen von ungezählten Trinkgeldfäden. Man kann sich kaum vorstellen, daß es, schnitte man diese Fäden durch, noch zusammenhielte.

Das Trinkgeld gibt der Luft dieser Stadt den vielgerühmten silbernen Schimmer, das Trinkgeld ist der magische Quell ihrer Gemütlichkeit, das Trinkgeld ist das Korrektiv gegen Faulheit, Grobheit, Bosheit, das Trinkgeld sänftigt die Massengegensätze, das Trinkgeld fördert Recht und beschwichtigt Unrecht, das' Trinkgeld öffnet Türen, Herzen, Akten, das Trinkgeld beschwingt die Beine, macht die Speisen besser, die Boten rascher, die Unwilligen willig, das schwer Mögliche möglich.

Das Trinkgeld ist der Hoffnungszusatz, der die Arbeit süßt. Es verleiht dem Dienst einen freundlichen Schimmer von Gefälligkeit, bringt ein menschliches Moment in die sachliche Beziehung von Leistung und Gegenleistung und fördert einen außerordentlich nuancenreichen Wechsel in Tempo, Farbe, Tonfall der Pflichterfüllung.

Solcher Fülle von Möglichkeiten, die jede scheinbare Wiener Sicherheit und Gewißheit birgt, entfließt ja das lieblich Irrationale, Schwankende, Fragwürdige wienerischen Lebens. Das Trinkgeld ist dieses Lebens geheimer Motor. Ich fürchte, wenn man ihn abstellt, bleibt es stehen.

Aus: TASCHENSPIEGEL. Von Alfred Polgar. Herausgegeben von Ulrich Wein-zierl. Locker Verlag, Wien 1980. 256 Seiten, öS 268,-.

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