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Noch ein Werkvertrag

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Österreich liegt nicht am Balkan - und deshalb sind die hierzulande üblichen Bakschisch-Be-träge auch etwas maßvoller als jene Geschäftsanbahnungen, mit denen im Orient gerechnet werden muß. Aber immerhin: Ohne sogenanntes Trinkgeld öffnen sich auch hierzulande weder Ohren noch Augen noch Herzen. Die Bezeichnung „Trinkgeld" rührt dabei von der Annahme her, daß der damit Belohnte zwar ausreichend zu essen, aber nichts zu trinken hat, und daher sein Bier, sein Achterl Wein oder seinen Kaffee durch die Zulage gesichert werden müsse. Je nach der erbrachten oder zu erwartenden Zusatz- oder Zuvorkommenheitsleistung bemißt sich das Trinkgeld. Die im Gastgewerbe verrechneten zehn Prozent sind längst fixer Preisbestandteil und lösen darüber hinaus weitere Trinkgelderwartungen aus, über deren Höhe dem Fremden jeder Beiseführer bereitwillig Auskunft gibt. Alle Dienstleistungen sind bereits in ein inoffizielles Schema von Trinkgeldtarifen eingeordnet. Wer dagegen verstößt, hat mit Sanktionen von Nichtbeachtung unter Wartenden bis zu saftigen Kut-scherflüchen zu rechnen. Im Zwei-felsfall ist das erwartungsvolle Mienenspiel bei angedeuteter waagrechter Handhaltung zu beachten.

Nun gibt es - und das vermenschlicht diese Trinkgeld-Mentalität sehr - in diesem Lande Gott sei Dank auch viele Formen freundschaftlicher, nachbarlicher, nächstenliebender Hilfen, die gar keinem Lohntarif unterliegen und die eigentlich umsonst geleistet werden. Aber irgendwie, besonders wenn solche Hilfen öfter erbracht werden, bedürfen sie doch einer finanziellen Entschädigung. Vom Babysitter bis zum Blumengießer, vom Kohlenträger bis zum Posterlediger, von Haushalts- bis zu Pflegehilfen, ganz zu schweigen von den Leistungen im Grenzgebiet professionellen Pfusches, sind Geldbeträge als Entschädigung üblich. Mitunter gibt es auch dafür schon halboffizielle Tarife, bei deren Nichtbeachtung die Hilfe eben ausbleibt. Die Beträge werden auch Trinkgeld genannt, weil sie meistens nicht hoch sind. Ohne das Netz dieser Gefälligkeiten bräche für viele Menschen der Alltag zusammen. Zum Unterschied vom halb erpreßten Trinkgeld sind diese Trinkgelder nämlich wesentlich ehrlicher verdient.

Dem Fiskus ist selbstverständlich dieser graue Trinkgeldmarkt längst ein Dorn im Auge. Denn juristisch gesehen ist, was so als harmlose Gegenseitigkeit aussieht, eine Tätigkeit gemäß Werkvertrag - und wenn sie regelmäßig geschieht sogar eine dienstnehmerähnliche. Übers ganze Land und Volk gesehen könnten es schon Millionen sein, die da unkontrolliert und unbesteuert dem Finanzminister entgehen. Daß sich dies noch dazu verstärkt im familiären, kinderreichen oder mindestberenteten Bereich abspielt, weckt die Abschöpfungslust des Finarizministers besonders. Denn in diesen Bereichen liegen ja die hohen Werte.

Der Vorschlag, ganz unbürokratisch in jedem Falle bei Trinkgeldzahlungen der ersten oder zweiten geschilderten Kategorie jeweils ein Formular eingehend auszufüllen und an das Finanzamt zu senden, wurde von unverständigen, weil nicht beamten-arbeitsplatzsichernden Experten verworfen. Die Unterstützung der notleidenden Papierindustrie ist die Sache der Finanzverwaltung nicht.

Es zeichnet sich vielmehr folgende Lösung ab: Da jeder Österreicher durch Trinkgeldgeben ein Werkvertragsgeber ist, will der Fiskus wie bei der Straßenbenützung oder dem Kanal die Abgaben pauschalieren. Über einen Durchschnittswert wird errechnet, wie hoch der Trinkgeldbetrag pro Kopf ist und daraus eine allgemeine Werkvertragsabgabe abgeleitet. Die SPÖ tritt für eine soziale Staffelung ein, das heißt die Werkvertragsabgabe ist prozentuell vom Einkommen zu berechnen. Die Leute mit dem vieldiskutierten Spitzeneinkommen geben auch mehr Trinkgelder - daher ist die Höherbelastung auch zu vertreten. Die ÖVP kritisiert diesen neuerlichen Griff in die Taschen der Hochleistungswilligen und tritt für einen linearen Betrag ein.

Die endgültige Sanierung des Staatshaushaltes und die Erfüllung der Maastricht-Kriterien ist damit gewährleistet.

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