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Vision einer Zukunft

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Viele Leute sind angewidert von der Art, wie in sozialistischen Kreisen derzeit das Nein der Wählermehrheit zu Zwentendorf als Inbegriff der Volksweisheit gefeiert wird.

„Es zeigt sich nun, daß das österreichische Volk bei der Kernkraftabstimmung richtig entschieden hat“, erklarte blauen Auges der Wiener Bürgermeister Leopold Gratz, der -nach anfänglichen Zweifeln - vor dem 5. November 1978 nachdrücklich die entgegengesetzte Parole seiner Partei zu Zwentendorf vertreten hatte.

Und geradezu rührend gab Manfred Scheuch in der „Arbeiter-Zeitung“ vom 2. April zu, daß er nach dem Fast-Debakel von Harrisburg nun zu jenen gehöre, die „zum erstenmal so recht froh“ über das Nein der Österreicher zu Zwentendorf geworden sind. Er scheint buchstäblich vergessen zu haben, mit welcher Leidenschaft in derselben „Arbeiter-Zeitung“ noch vor wenigen Monaten die Kernkraftgegner verdonnert und verteufelt worden waren.

Viele halten dergleichen Wortakrobatik für widerliche Heuchelei, opportunistische Stimmfangmanöver und schamlose Wahltaktik. Das sind die Pessimisten und Skeptiker unter uns. Ein unverbesserlicher Optimist erbückt in solchen Tönen Grund zu einer neuen Hoffnung. Und der Inhalt der Hoffnung ist: daß uns morgen schon dieselben sozialistischen Parteihelden versichern werden, sie seien immer schon Vorkämpfer für den Schutz des menschlichen Lebens gewesen.

Denn das wird die Welle der Zukunft sein: das nachdrückliche Eintreten für Leben, geborenes wie ungeborenes, in einer Welt, in der aus politischen, ideologischen, vermeintlich humanistischen und bisweilen selbst aus vorgeblich religiösen Gründen gedemütigt, gefoltert, gequält und gemordet wird.

Gegen den Ungeist der Relativierung des Wertes von Menschenleben wird sich früher oder später (früher, glaube ich) unter den Gutgesinnten aller Kontinente eine große, weltweite „Aktion Leben“ formieren. Christen, Juden und Hinduisten, Anhänger Mohammeds und Buddhas werden Bundesgenossen sein. Die Sozialisten werden in dieser Front nicht fehlen.

Man sollte, wenn es soweit ist, nicht schadenfroh die Verirrungen und Verwirrungen der Vergangenheit zitieren, sondern die kühne Antwort, die Konrad Adenauer einmal einem Kritiker seiner poütischen Positionswechsel gab:

„Man wird doch noch dazulernen dürfen.“

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